Der Fluß
gezeigt hast und die mich rührt. Und noch etwas anderes schätze ich an dir. Du bist nicht wie Bror, so zerbrechlich unter der harten Schale, daß du jederzeit kaputtgehen kannst. Ich weiß, daß du, egal was geschieht, deinen Weg gehen wirst. Und das ist beruhigend für mich, verstehst du?«
»Willst du mich heiraten?« frage ich plötzlich. Das kommt fast wie eine Eingebung, ich habe vorher nie an so etwas gedacht. Aber was sie mir da sagt, ist von einer solchen Aufrichtigkeit, daß ich mich gerne revanchieren möchte. Und das ist mit Worten nicht möglich. Ein Heiratsantrag, dassind nicht nur Worte, das ist ein Versprechen. Ich möchte ihr alle Versprechen dieser Welt geben. Ich möchte mich an sie binden, ihr zeigen, daß ich sie anbete, daß ich stark bin für sie, daß ich sie wieder auf dem Rücken trage, wenn es nötig ist.
Sie schaut mich an. Ihr Gesicht ist blaß. Ich merke, daß sie bewegt ist. Tränen stehen in ihren Augen. Das wirkt ansteckend auf mich. Wir wissen beide, daß die nächsten Sekunden lebensentscheidend sind.
»Ja«, sagt sie. »Das will ich.«
Sie begleitet mich das kleine Stück zum Taxi, das wartend auf dem Parkplatz steht, mit Licht auf dem Dach, obwohl es bestellt ist.
»Es ist sehr früh, wenn man heiratet, bevor man zwanzig Jahre alt ist«, sagt sie. »Aber bei mir war es nicht anders. Und ich bekam dadurch ein Gewicht in meinem Leben, ein Ziel. Außerdem hatte ich Anja.«
»Du bist nicht zu alt, um noch mal ein Kind zu bekommen«, sage ich.
»Nein. Mutter war vierzig Jahre, als sie Sigrun bekam.«
»Ich wußte gar nicht, daß du eine Schwester hast«, sage ich. »Deine Mutter hat es erzählt.«
»Du wirst sie eines Tages kennenlernen. Wir sind sehr verschieden.«
»Lenk jetzt nicht ab vom Thema«, sage ich. »Du hast gehört, was ich sagte.«
Sie nickt. »Aber du verstehst doch, daß ich diesen Gedanken momentan nicht weiterdenken kann. Du würdest ein phantastischer Vater sein. Das weiß ich. Das sehe ich. Du hast eine besondere Einfühlungsgabe. Und ich werde nie das Gefühl haben, daß ich kein Kind mit dir haben möchte.«
Das Taxi wartet. Der Fahrer sitzt im Wagen und raucht. Wir stehen etwas abseits, sind erregt und verwirrt zugleich. An diesem Abend haben wir uns verlobt.
»Du weckst tiefe Gefühle in mir. Und du hilfst mir. Aber du willst mich sicher nicht heiraten, nur um mir zu helfen?«
»Ich liebe dich«, sage ich.
»Ja, jetzt können wir es aussprechen. Dieses seltsame, große Wort, das so oft mißbraucht wird. Ich liebe dich, ich auch. Aber du, ich hoffe, du siehst ein, daß unsere Hochzeit ohne großen Aufwand sein muß. Ich ertrage die Kommentare der Leute nicht. Die Menschen, denen wir vertrauen, werden es erfahren. Den anderen brauchen wir nichts davon zu sagen. Jedenfalls zunächst. Einige werden mich wegen Kindesentführung verurteilen …«
»Und andere werden mir eine abnorme Mutterbindung vorwerfen …«
Wir lachen beide.
»Wir werden in Wien heiraten!« sage ich. »Ich muß doch im April dorthin und mit Seidlhofer spielen.«
»Und da willst du mich mitschleppen? Ich weiß, was vor dir liegt, Aksel. Dein Debütkonzert. Da darf dich eine simple Hochzeit nicht stören.«
»Lassen wir es darauf ankommen …«
»Vielleicht ist der Gedanke gar nicht dumm. Im April, sagst du? Im April ist es sicher schön in Wien.«
»Das kriegen wir hin«, sage ich aufgeregt und glücklich.
Der Taxifahrer wird ungeduldig und hupt verärgert. Ein sinnloser Laut zwischen den Tannenbäumen.
»Du mußt jetzt gehen«, sagt sie und küßt mich mit kalten Lippen auf den Mund.
Eine Stunde später sitze ich in meinem Hotelzimmer. Ich trinke den Champagner, den ich mit ihr trinken wollte. Ich feiere etwas, ein Versprechen, einen Plan, kann mich abervon einer gewissen Ängstlichkeit nicht befreien. Werde ich das jemals können? denke ich. Uns verbindet eine Trauer. Aber wir haben auch das Glück erlebt. Das war kein Schauspiel, denke ich, all die intensiven Momente zwischen uns.
Trotzdem ist es komisch und fast unwirklich, daß ich Anjas Mutter heiraten werde.
Ich sitze auf der Bettkante, grüble und trinke.
Es gibt niemanden, dem ich das erzählen kann. Rebecca ist auf den Bahamas und Cathrine in Indien. So einsam bin ich geworden, denke ich. Aber es ist eine Einsamkeit, in der ich mich gut fühle. Solange Marianne ein Teil davon ist.
Der Gedanke, sie könnte das vielleicht nicht sein, erschreckt mich.
Wieviel größer die Nacht ist als der Tag, denke ich.
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