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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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ist das nicht fabelhaft für einen jungen Mann?«
    »Ich weiß nicht, ob das möglich sein wird«, sage ich. »Ich lebe mit einer sehr speziellen Frau zusammen.«
    »Einer gut aussehenden, jugendlichen Frau«, sagt W. Gude bestimmt. »Wir sprechen doch von Anja Skoogs Mutter?« »Ja«, sage ich.
    W. Gude beugt sich über den Tisch, flüstert beinahe, um zu betonen, wie vertraulich seine Miteilung ist. »Mir gefällt es, daß du mit ihr zusammen bist. Es ist nicht schwer zu verstehen, daß ihr euch in der Trauer gefunden habt. Und eine Frau, die älter ist, das hat etwas. Es tut einem Mann gut, mit ihr zusammen zu sein. Wußtest du, daß meine Frau zehn Jahre älter ist als ich? Das ist wirklich wahr. Und du glaubst nicht, wie sehr mir das genützt hat. Unvergleichlich, von Anfang an. Halte also fest an Anjas Mutter, junger Mann. Sie ist im übrigen schon etwas eigenwillig.«
    »Das Problem ist …«
    »Was ist das Problem?«
    »Daß sie psychisch krank ist«, sage ich. »Daß ich glaube, sie in dieser Situation, nicht so lange allein lassen zu können. Vielleicht gar nicht so sehr ihretwegen als meinetwegen. Da besteht eine ständige Angst …«
    »Ist sie …?« sagt W. Gude andeutend.
    »Ja«, sage ich.

    Es wird still in W. Gudes Büro. Er überlegt lange, die Fingerspitzen aneinandergedrückt.
    »Selma Lynge wird enttäuscht sein und beunruhigt«, sagt er schließlich.
    »Ich weiß, daß ich dieses Debütkonzert ohne Generalproben meistern kann«, sage ich.
    »Direkt aufs Podium? Ohne Sicherheitsnetz?«
    »Es gibt ohnehin kein Sicherheitsnetz.« Ich fühle mich jetzt plötzlich stark und bin meiner Sache sicher. Ich denke an Marianne. Daß sie mich braucht. »Anschließend in Bergen kann ich dabeisein. Aber die Konzerte mit Musikkens Venner müssen abgesagt werden.«
    »Das könnte schwierig werden, denn wir sind schon ziemlich weit in den Vorbereitungen«, sagt W. Gude und sieht gequält aus.
    »Selma Lynges Vorbereitungen«, sage ich. »Sie hat mich nicht gefragt. Ich weiß lediglich, daß ich im April zu Seidlhofer nach Wien soll.«
    W. Gude nickt abwesend. Er denkt an all die Telefonate, die er jetzt führen muß. Das ist nicht zu ändern.
    Dann holt er tief Atem und seufzt.
    »Gut, junger Mann. Ich kann deine Haltung nur respektieren. Es ist dein Leben. Du erinnerst dich, was ich seinerzeit im Blom über Rubinstein sagte? Wenn du wirklich die große Liebe gefunden hast, ist sie wichtiger als alles andere. Aber uns tut das natürlich verdammt leid.«
    »Verlaßt euch auf mich«, sage ich und fühle mich wie ein Hausierer, der eine Ware verkauft, die er gar nicht in seinem Sortiment hat und von der er nicht einmal weiß, was es ist. W. Gude sieht die Entschlossenheit in meinem Blick.
    »Unter anderen Umständen würde ich es nicht machen,denn es liegt jetzt eine große Verantwortung auf unseren Schultern. Aber so, wie du es sagst, akzeptiere ich es.«
    »Rufst du Selma Lynge an?« sage ich.
    »Ja«, sagt er.
Intermezzo bei Selma Lynge
    Ich bin im Sandbunnveien, und Selma Lynge ist schlechter Laune, läßt sich alles mögliche einfallen, um mich zu bestrafen. Ich muß Suiten von Bach vom Blatt spielen, ich muß den vierten Finger, meinen Schwachpunkt, üben, ich muß alles tun, was sie anordnet, damit ich mich danach noch unsicherer fühle.
    Aber das hilft auch nicht weiter.
    Nach all den halbherzigen Demütigungen trinken wir Tee. »Wenn du lieber Krankenpfleger werden willst, hättest du es sagen müssen.«
    Ich überlege, ob ich ihr erzählen soll, daß Marianne nach Wien mitkommen wird, daß wir im April heiraten werden, wenn ich bei Seidlhofer bin. Aber ich lasse es sein. Der Gedanke, daß Marianne dabei ist und mich in meiner Konzentration auf das einzige, was ihr wichtig ist, stört, dürfte für sie schwer zu ertragen sein.
    »Ich behalte mir das Recht vor, ein Privatleben zu haben«, sage ich. »Und du hast mich wegen dieser Konzerte für Musikkens Venner nicht gefragt.«
    »Für mich war es selbstverständlich, daß du mitmachst. Aber vielleicht hast du dich umentschieden? Vielleicht willst du doch nicht Prokofjew und Beethoven spielen? Vielleicht möchtest du nur kleine Stücke aus dem ›Großen Klavierbuch‹ spielen?«
    »Selma!« sage ich.
    Es ist das erstemal, daß ich sie beim Vornamen nenne.
    Sie schaut mich etwas erschrocken an. Trotzdem habe ich das Gefühl, daß es ihr gefallen hat.
    Danach spiele ich noch mal op. 110, und ich höre, daß ich besser spiele als je zuvor. Es ist Marianne, die

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