Der Fluß
halb offenem Mund, mit beiden Händen oben am Lenkrad, blinzelt er in die Dunkelheit. Er sagt während der ganzen Fahrt kein Wort.
»Wann wollen Sie wieder geholt werden?«
»Zehn Minuten nach Mitternacht«, sage ich.
»In Ordnung«, sagt er und grüßt militärisch mit der Hand an der Stirn.
Marianne wirkt diesmal kräftiger. Ich spüre es an der Art, wie sie mich an sich zieht. An ihrem Blick, als wir zwischen den Tannen ein paar Schritte gehen.
»Mein Junge«, sagt sie. »Wie schön, dich zu sehen. Wie war die Hochzeit?«
»Furchtbar«, sage ich. »Ich habe den Bräutigam verärgert.«
Ich erzähle ihr die ganze Geschichte. Wie ich mich in meiner Rede verhedderte. Wie alles immer obszöner wurde. Die Metapher von Adam und Eva. Sie fängt an zu lachen. Ein echtes, ansteckendes Lachen.
»Wie lustig!« sagt sie. »Hat es denn niemand gemerkt?«
»Doch, alle, und besonders der Bräutigam.«
»O weh. Und was ist dann passiert?«
»Er warf mein Hochzeitsgeschenk, eine kobaltblaue Vase, nach mir und traf mich an der Schulter.«
»Wie unhöflich. Und nicht nett Rebecca gegenüber. Wie reagierte sie?«
»Sie ist jetzt mit ihm auf den Bahamas. Sie sagte am Telefon, es gehe ihr gut.«
»Sie hätte sicher nichts gegen einen kleinen Seitensprung mit dir.«
»Was sagst du da?«
»Reg dich ab«, sagt Marianne mit einem Lächeln. »Ich weiß, was ich weiß. Erfahrenen Frauen meines Alters macht man nicht so leicht etwas vor.«
Wir feiern gemeinsam Silvester, Marianne Skoog und ich. Es ist eine Veranstaltung für Patienten und ihre Angehörigen, aber es sind nicht sehr viele in der Klinik geblieben.Wir sind nur ein paar Menschen, die um den Weihnachtsbaum gehen.
Danach hören wir im Fernsehen die Rede des Königs. Dann wird im Speisesaal ein Essen serviert. Ich beobachte Marianne insgeheim, beobachte die anderen Patienten, bin neugierig, mit wem Marianne näher Kontakt hat.
Aber ich bin nicht in der Lage, auf die anderen einzugehen. Ich sehe eigentlich nur Marianne. Ihr blasses Gesicht. Die Augen mit dem wehmütigen Punkt tief drinnen. Ihr Kopf, der unversehens auf meiner Schulter liegt. Als würden wir eine neue Vertraulichkeit aufbauen, schließlich haben wir uns kaum gesehen.
»Ich habe mich mit Iselin Hoffmann getroffen«, sage ich. Sie nickt. »Hast du? Das paßt zu dir. So wie du einmal auf mich zugegangen bist? Ich mag das, deine direkte Art. Iselin hat es sicher auch gefallen, so wie ich sie kenne. Was hat sie zu dir gesagt?«
»Sie erzählte mir, wie wichtig du in ihrem Leben warst. Sie sagte, sie würde nie von dir loskommen.«
»So redet sie eben«, sagt Marianne. »Du brauchst keine Angst haben. Ich will sie als Freundin behalten, aber unsere Beziehung ist zu Ende. Das weiß sie. Und falls sie es nicht versteht, ist es ihr Problem.«
»Aber eigentlich auch meines?«
»Iselin wird nie dein Problem werden«, sagt sie bestimmt. »Gut.«
»Ich bin so froh, daß du mich besuchst«, sagt sie still. »Ich hätte so gerne, daß du bei mir übernachtest, aber das ist nicht erlaubt.«
»Ich übernachte im Hotel«, sage ich.
Das Fest ist vorbei, ehe es richtig begonnen hat. Ein melancholischer und eitler Sänger mit Vollbart und Baskenmütze gibt einige Lieder zum besten, die weder eine tiefeEmpfindung noch einen schönen Gedanken vermitteln. Dann gibt es ein kleines Feuerwerk zwischen den Tannen. Ein paar Raketen, die in den Himmel zischen. Ein Anblick, der depressiv macht.
Und ich werde die spezielle Stimmung zwischen uns nie vergessen, der große Ernst, die Verantwortung, die ich übernommen habe, indem ich sie an diesem Tag besuche. Marianne und ich stehen vor dem Haupteingang, und sie hat ihre Arme um meinen Nacken gelegt.
»Ich liebe dich sehr«, sagt sie. »Du wirkst anders auf mich als die anderen Männer. Vielleicht, weil du so jung, so stark und so voller Lebenslust bist. Und trotzdem erkenne ich deutlich deine Trauer, fast genauso wie meine eigene. Ich müßte zu dir sagen, daß du mich verlassen sollst. Immer wieder müßte ich das sagen, bis du es tust. Aber ich mache es nicht.«
»Du wirst mich nicht los«, sage ich.
Sie streicht mir übers Haar. »In ein paar Wochen komme ich zurück«, sagt sie. »Wir werden wieder unsere gemeinsamen Abende gestalten, vielleicht habe ich wieder Lust, Musik zu hören, was ich seltsamerweise die ganze Zeit nicht hatte. Wir sitzen wieder zusammen im Wohnzimmer, und ich werde mich wieder freuen auf unsere Gespräche, auf die Nähe, die du mir immer
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