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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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entsteht eineÖffnung zur Tür. Jemand hat die gefährliche Situation erkannt und den Weg freigemacht.

    Ich verschwinde hinaus in die Nacht. Eine dünne Schneeschicht liegt auf den Stufen. Ich rutsche aus, falle hin. Aber niemand sieht mich. Mein unbekannter Verbündeter hat die Tür hinter mir geschlossen. Von drinnen höre ich es schreien und rufen.
    Ich laufe weiter in die Nacht, hinüber zum Volksmuseum, weg vom Schmerz in der Schulter, aber vor allem weg von dem tristen Gefühl in mir. Als würde ich in eine Finsternis verschwinden. Eine Finsternis, die mich verwirrt. Eine Finsternis, in der nichts erkennbar oder sichtbar ist.

    Ich höre zu laufen auf und gehe, gehe die halbe Nacht, gehe bis hinauf nach Røa und hinunter zum Elvefaret. Endlich daheim, lege ich Joni Mitchell auf. »Woodstock«: »We are stardust. We are golden. And we’ve got to get ourselves back to the garden.«
Telefon von den Bahamas
    Es vergehen zwei Tage.
    Rebecca ruft mich an, es ist sieben Uhr morgens.
    »Kannst du reden?« sagt sie.
    »Natürlich«, sage ich. »Ich bin doch ganz allein. Und wenn nicht, würde ich auch reden können. Marianne weiß, was du für mich bedeutest.«
    »Ich bin auf den Bahamas. Wir sind in der Zeit ein paar Stunden hinter euch. Christian ist gerade eingeschlafen. Ich mußte dich einfach anrufen und mich entschuldigen für das, was auf der Hochzeit passiert ist.«
    »Du mußt dich dafür nicht entschuldigen.«
    »Wurdest du verletzt?«
    »Ja. Das Kreuzband ist gerissen. Meine rechte Hand istgelähmt. Jetzt kann ich nur Ravels Konzert für die linke Hand spielen.«
    »Halt mich nicht zum Narren!«
    »Nein, das tu ich nicht.«
    »Ich will nur sagen, daß Christian nicht so ist, wie du denkst. Dieser Auftritt tut ihm sehr leid. Er hatte zuviel getrunken. Manche Jungen vertragen eben nicht soviel.«
    »Das weiß ich.«
    »Du darfst ihm deshalb nicht böse sein. Er ist ein richtiger Schmusebär. Deine Rede war übrigens süß. Ich war stolz bei jedem Wort.«
    »Ich habe es gut gemeint.«
    »Das habe ich verstanden.«
    »Wie geht es euch? Liegt ihr am Strand? Trinkt ihr Rum? Seid ihr glücklich?«
    »Ich war noch nie so glücklich. Aber wenn mir die Sonne ins Gesicht scheint, wenn alles warm ist, wenn ich mit geschlossenen Augen im Liegestuhl liege, und nichts geschieht, weißt du, wovon ich dann träume?«
    »Nein«, sage ich.
    »Rat mal.«
    »Dummchen. Sollten wir jetzt nicht fertig sein miteinander?« sage ich.
    »Wir werden nie miteinander fertig«, sagt sie.
    »Logisch ist das nicht. Warum kannst du ohne mich glücklich sein?«
    »Ich bin glücklich, weil du bist, der du bist, und Christian ist Christian. Und weil ihr euch genau dort befindet, wo ihr sein sollt, jeder an einer Seite von mir. Doch um das zu verstehen, muß man vielleicht eine Frau sein.«
Silvester 1970
    Ich setze mich in den Zug, es ist der letzte Tag des Jahres 1970. Es hat noch etwas geschneit, wennauch nicht viel. Ich habe für meine Wohnung neue Mieter gefunden, zwei Klavierstudenten. Ich bin auf dem Weg zu Marianne. Sie hat mich seit Tagen nicht angerufen. Das beunruhigt mich. Gleichzeitig versuche ich mich damit zu trösten, daß sie ihre Therapie machen muß. Sie hat an so viel anderes zu denken.
    Der Zug fährt durch die typisch ostnorwegische Landschaft. Weite Felder, niedrige Hügel, große Bauernhöfe. Allein stehende Häuser. Hier leben die Menschen ihr selbstgenügsames Leben. Früher habe ich diese Landschaft nicht beachtet. Jetzt beeindruckt sie mich. Ich stelle mir die Menschen vor, die in den Häusern leben. Daß sie vielleicht ähnliche Probleme haben wie wir. Daß so vieles unsichtbar ist. Daß ich mich vortasten muß. Will ich wirklich Musiker werden? Rebeccas Fragen klingen in meinen Ohren. Ich bin nicht imstande, sie zu beantworten.
    Alle meine Gedanken kreisen um Marianne Skoog. Habe ich in der letzten Zeit überhaupt an etwas anderes gedacht? Ich bin krank vor Sorge um sie.
    Sobald ich an der Haltestelle aus dem Zug steige, fühle ich mich froher, weil ich ihr näher bin. Es ist Abend geworden. Einige können es nicht erwarten, schießen vereinzelte Raketen in die Nacht. Mir stehen schwere Entscheidungen bevor. Einige habe ich bereits getroffen.
    Ich checke in das kleine Hotel am Sund ein. Für alle Fälle bitte ich darum, eine Flasche Champagner gekühlt in mein Zimmer zu stellen.

    Jetzt fahren keine Busse mehr, und ich nehme ein Taxi hinauf zur Klinik. Der Fahrer ist zum Glück kein redseliger Mensch. Er fährt mit

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