Der Fluß
werde von Rebeccas Blicken angefeuert. Denn Rebecca hat den katastrophalen Satz, den alle andern gehört haben, nicht gehört. Weil er für sie selbstverständlich ist. Weil er für sie wahr ist. Nun wissen auch alle andern, daß er wahr ist.
Aber niemand läßt sich etwas anmerken. Auch nicht, als ich die Tage, die ich im August allein mit Rebecca im Ferienhaus verbrachte, als einen Besuch im Paradies beschreibe, ein Dasein fast wie Eva und Adam, trotz der großen Trauer in meinem Herzen. Ich erzähle ein bißchen von Anja, stelle es aber so dar, als sei es Rebecca gelungen, daß ich diesen Tod vergessen konnte. Und an dieser Stelle, benebelt von mehreren Gläsern Champagner, Weißwein und Rotwein, merke ich, daß ich zuviel rede, daß ich mich für witziger halte, als ich eigentlich bin, daß die Wörter auf seltsame Weise gewagter werden, daß ich auf sexuelle Andeutungen nicht verzichten kann. Ich verirre mich in eine Paradiesgarten-Trauer-Rhetorik, die bei allen in diesem Winterzelt, mich eingeschlossen, die Vorstellung aufkommen läßt, wirseien nackt herumgelaufen, hätten Tschaikowski gespielt und unablässig Früchte füreinander gepflückt, während der Verlobte sich in Frankreich befand und die Eltern auf der »Hurtigrute«. Und als ich das tragische Ereignis am letzten Tag anschneide, beschreibe ich den Trost, den wir einander spendeten, als hätten wir alle Hemmungen überwunden und wären direkt miteinander ins Bett gegangen. Rebecca läßt sich nichts anmerken. Sie verschlingt jedes Wort, das ich sage, schaut mich entzückt an, während Christian Langballe mich mit großen Augen und offenem Mund anglotzt, als sei ich verrückt geworden. Aber trotzdem kommt meine Rede an, denn als ich mit Rebecca Frost, »meiner besten Freundin«, anstoße und sie mich demonstrativ auf den Mund küßt, wie es nun mal ihre Art ist, geht ein befreiendes Lachen durchs Zelt. Jemand ruft sogar »Bravo!«
Den meisten dürfte nicht entgangen sein, daß ich Rebecca liebe, denke ich. Trotz des Zweifels, der mich zwischendurch befiel, habe ich das Gefühl, daß meine Trauzeugenrede ein Schuß ins Schwarze gewesen ist. »Ausgezeichnet!« Ein betrunkener Bergenser prostet mir über den Tisch zu. »Holla, was für eine famose Rede! Aber warum heiratet ihr denn nicht?«
Christian Langballe schätzt mich jedenfalls jetzt noch weniger, seine Ablehnung ist unübersehbar. Rebecca flüstert ihm etwas ins Ohr, was ihn aber nicht beruhigt.
Es kommen noch mehr Reden, Reden von allen Seiten, von allen Tischen. Es riecht nach sauren Fürzen und Alkoholrülpsern, und sogar nach Mitternacht werden noch Reden gehalten. Die Luft ist schlecht, im Zelt gibt es keine Lüftung, die Gäste zeigen Anzeichen von Müdigkeit. Aber dann, gegen halb zwei Uhr, können wir endlich aufstehen. Es ist Zeit für Kuchen, Kaffee und Schnaps.
Ich behalte den Bräutigam im Auge. Er wirkt nicht mehr sehr standfest. Aber unterstützt von Rebecca, findet er den Weg an der Hochzeitstorte vorbei zur Tanzfläche. Sie führt ihn direkt hinein in den Brautwalzer. Er schwankt, taumelt, aber Rebecca hat starke Arme und holt ihn immer wieder zu sich heran. Als der Walzer mit dem nicht sehr passenden Namen »Die lustige Witwe« dem Ende zugeht, entdeckt er mich in der Ecke, wohin ich mich, erschöpft von den vielen Menschen, zurückgezogen habe, krank im Herzen bei dem Gedanken an Marianne.
»Du!« ruft Christian Langballe und befreit sich vom Griff seiner frisch vermählten Frau. »Du entkommst mir nicht!« sagt er.
»Christian!« schreit Rebecca.
»Was ist hier los?« ruft Desirée Frost und schlägt die Hand vor den Mund.
Ich merke, daß Gefahr im Verzug ist, und laufe aus dem Zelt hinüber ins Haupthaus, wo der Tisch mit den Geschenken steht. Aber er kommt hinter mir her. Der Bräutigam ist jetzt wütend. Er ruft: »Warte! Warte! So leicht entwischst du nicht!«
Ich wende mich zur Ausgangstür, aber da steht eine Traube Menschen. Ich komme nicht durch. Ich drehe mich um und sehe, daß Christian Langballe direkt auf die kobaltblaue Vase zusteuert. Er nimmt sie vom Geschenketisch, hebt sie hoch über den Kopf und schleudert sie mit voller Kraft auf mich.
»Das hast du verdient, du Witwenficker! Du Flügelwichser! Du verdammter, fotzenleckender … Bock!«
Die teure Vase von Norwegian Design trifft meine Schulter und knallt auf den Boden. Ich spüre einen stechenden Schmerz. Dann kommt er mit einem Satz auf mich zu. Er hat jede Beherrschung verloren. Aber da
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