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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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promovieren will. Weil ich einige prominente Freunde zu einem nachträglichen Jubiläum eingeladen habe. Sie können nicht absagen. Lutoslawski wird dabei sein, vielleicht sogar Boulez. Weil sie nicht wissen werden, daß du es bist, den sie hören, und weil sie kommen, um dich zu hören. Weil wir im Laufe dieser neun Monate Zeit haben, dich nach Wien zu schicken, wo mein guter Freund Dr. Bruno Seidlhofer dich in der Zielgeraden ein paar Tage korrigieren und meinen Unterricht ergänzen kann. Weil es das Ende meiner Karriere sein wird und der Beginn der deinen. Und so habe ich mir das immer vorgestellt. Daß es Ernst sein wird zwischen uns. Wenn du willst.«

    Ich weiß nicht, was ich erwidern soll.
    »Ich habe bereits mit W. Gude gesprochen, deinem Impresario«, sagt sie.
    »Du hast mit ihm gesprochen?«
    »Er sagt, daß du imstande bist, das Debüt des Jahrhundertszu liefern. Er wird alles tun, was in seiner Macht steht, um diesen Abend zu einem großen Ereignis zu machen.«
    Ich muß nachdenken. Immerhin bin ich derjenige, der da spielen soll. Ist es ihr wirklich Ernst? Hat sie sich in diesem Sommer so viele Gedanken über mich gemacht? Oder bin ich nur ein einfacher Bauer in ihrem Schachspiel?
    Sie bemerkt mein Zögern.
    »Ist dir denn nicht bewußt, daß ich an dich glaube, trotz allem?«
    »Woran glaubst du?«
    »Daß du ein Auserwählter bist. Ein ganz spezielles Talent, wenn du in der Lage bist, das zu verstehen. Was, glaubst du, läutert einen Menschen? Rückschläge. Wiederholtes Scheitern. Wille und innere Kraft. Das Gegenteil von Verweichlichung. Bist du jetzt geläutert? Hast du schlecht genug gespielt? Hast du dich tief getroffen gefühlt? Ungerecht behandelt? Verstehst du immer noch nicht, daß du mein begabtester Schüler überhaupt bist? Begreifst du nicht, daß ich deine Gefühle wahrnehme? Deine Stärke? Deine sichtbaren Schwächen? Die Schönheit, die ganz tief in dir verborgen ruht? Merkst du nicht, daß ich für dich blute? Aber dann darfst du mir nicht derart Mittelmäßiges servieren wie eben. Die Entscheidung liegt bei dir, Aksel. Ich werde dich wieder hochbringen, wenn du mir vertraust. Aber dann mußt du wirklich beherzigen, was ich sage. Dann mußt du die Etüden von Chopin üben . Dann fängst du keine verwirrenden Beziehungen mehr zu dummen, reichen und genußsüchtigen Frauen an. Dann entgleitet dir dein Leben nicht. Dann lebst du streng und genügsam. Fange kurze Beziehungen an, wenn du mußt. Aber binde dich an niemanden. In deinem Alter kann die Liebe ein Feind sein. Dir fehlt noch der Überblick über das Leben und deine Gefühle. Die größte Gefahr für dich besteht in einer zu intensiven Empfindung. Verstehst du, was ich meine? Wer Selbstmord begeht, isthäufig in deinem Alter. In meinen Augen beging Anja eine Art von Selbstmord, egal was ihr Vater getan oder nicht getan hat. Willst du ihr etwa nachfolgen? Willst du, bildlich gesprochen, im Dreck liegen, bis man dich in fünfzig Jahren unbeachtet einscharrt? Weil du vergessen bist, weil niemand sich an dich und an den Mist und die Mittelmäßigkeit, die du geboten hast, erinnern will. Du wirst weggefegt, so wie ein Hagelschauer im April in wenigen Minuten eine fruchtbare Landschaft in eine Wüste verwandeln kann.«

    Es ist immer noch dunkel im Zimmer. Ich sehe sie nur als Schatten. Die Katze ist endlich eingeschlafen und hat sich in ihrer kleinen Welt auf dem Lehnstuhl eingerollt. Will sie wirklich kein Licht anmachen? Torfinn Lynge läuft oben im Kreis herum.
    »Als du heute kamst, hatte ich einen fertigen Plan für dich.« »Ja?«
    »Was du an besagtem Abend spielen sollst.«
    »Ja?«
    »Ich habe den ganzen Sommer darauf verwandt. Du mußt auf mich vertrauen. Ich erzählte Pollini von dir. Maurizio und ich haben zusammen vierhändig gespielt. Maurizio und ich sind sehr verschieden. Er ist genauso kopfgesteuert, stur und von sich überzeugt wie Glenn Gould, und ich habe des öfteren heftig mit ihm gestritten, auch wenn wir uns nur bei einer Tasse Kaffee trafen. Aber im Unterschied zu Glenn ist er offen für die Welt, ein temperamentvoller Italiener. Glenn ist eigentlich ein Blender. Seine Askese ist aufgesetzt, windig und falsch. Außerdem kann man mit überkreuzten Beinen nicht gut Klavier spielen. Glenn ist dabei, sich ins Abseits zu manövrieren mit seinen verdrehten Ideen, seinen Hirngespinsten, in Kanada, dieser ungesund überdimensionierten Provinz, ein leeres Land mit der Einsamkeit als Postanschrift. Ein

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