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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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ihr zwei euch trefft. Noch nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Christian ist ein eifersüchtiger Typ.«
    »Weiß er von uns?« frage ich erschrocken.
    Sie schaut mich ausdruckslos an. »Nein, was sollte er denn wissen? Außerdem glaubt er, daß du schwul bist. Das mußte ich ihm erzählen, weil er erfahren hat, daß du mich im Ferienhaus besucht hast.«
    Wir sitzen auf einmal auf dem abgewetzten Sofa, das Synnestvedt mir mit der Wohnung und dem Flügel vermacht hat. Zwischen uns ist eine Trauer, denke ich. Eine Trauer über das, worüber wir nicht sprechen können. Das, was in den letzten Jahren geschehen ist. Unsere Leben. Daß sie mich zuerst wollte. Daß sie mich zuerst küßte. Daß ich damals nicht für sie bereit war. Daß sie trotzdem die Tür einen Spalt offenhielt. Wir können nicht darüber reden. Können nie darüber reden, denke ich.

    »Wie steht es mit dem Ferienhaus?« frage ich schließlich.
    Sie lächelt traurig. »Kein Problem. Alles in Ordnung. Aber nach allem, was geschehen ist, mußten wir einiges verändern, um das traurige Ereignis zu verbannen. Das Boot heißt nicht mehr ›Michelangeli‹ . «
    »Warum nicht?«
    »Ich bin ja keine Konzertpianistin mehr. Weißt du, wie es jetzt heißt?«
    »Soll ich raten?«
    »Ja, rate mal!« sagt sie mit kindlichem Eifer.
    Ich kann mich nicht zurückhalten. »Albert Schweitzer«, sage ich.
    Sie schaut mich überrascht an mit ihrer Stupsnase und den winzigen Sommersprossen.
    »Aber Aksel! Woher weißt du das?«
    »Ein wenig kennt man schließlich seine engsten Freunde, oder?«
    Sie küßt mich schnell und zufrieden auf den Mund.

    »Du studierst also weiter Medizin und spielst in der Freizeit Klavier?« sage ich, als das Praktische erledigt und der Vertrag unterschrieben ist. Nun steht sie in der Tür und will gehen.
    »Ja, so ist es gut.« Sie lächelt. »Und ich bin froh, der Herrschaft von Mama und Papa zu entkommen.«
    Ja, denke ich. Aber sie ist stinkreich. Sie hätte sich etwas Schöneres suchen können. Das ist merkwürdig an den Millionären. Sie sind geizig. Sie kalkulieren immer. Rebecca kalkuliert. Sogar wenn sie mit jemandem ins Bett geht, kalkuliert sie, denke ich traurig.
    Aber dann umarme ich sie plötzlich. Ich will ihr nicht die Freundschaft kündigen. Sie hat mir immer geholfen. Ich habe ebenfalls versucht, ihr zu helfen.
    »Du bist ein lieber Junge, Aksel«, sagt sie.
    »Was soll ich über dich sagen?« sage ich verlegen.
    »Sage etwas Liebes. Etwas, das mir Mut gibt für meinen Alltag.«
    »Brauchst du das denn?«
    »Jeder braucht das.«
    »Dann sage ich, daß ich dich mag. Daß ich dich bewundere. Daß ich mich nach dir sehnen werde. Vielleicht dich auch brauche.«
    »Sag nichts mehr«, sagt sie.
Abschied von der Sorgenfrigata
    Ich stehe in Synnestvedts Wohnung, habe meine Sachen in vier Pappkartons verpackt. Mehr habe ich nicht. Die Platten und einen Teil der Bücher lasse ich für Rebecca und Christian da. DiePlattensammlung von Bror Skoog ist ohnehin viel größer und enthält alle meine Platten und noch dreitausend mehr. Ich nehme nur einige Noten, Kleidung, Toilettensachen, Handtücher, einen Morgenrock und ein paar ausgewählte Bücher mit.
    Ich fühle mich wie frisch gewaschen. Geübt habe ich nicht, konnte ich auch nicht mit den geschwollenen Fingern. Zum Glück ist es noch eine Woche bis zur nächsten Stunde bei Selma Lynge. Wenn ich in das Haus im Elvefaret komme, wird alles besser werden, denke ich.
    Die Uhr zeigt halb fünf, und es klingelt an der Tür. Rebecca Frost ist stets pünktlich, denke ich. Sie hat mir angeboten, mich hinaus nach Røa zu fahren. Ich hätte mir gerne ihren kritischen Blick auf meine Vorhaben erspart, bin aber gleichzeitig gerührt über ihre Teilnahme an meinem Leben. Sie trägt Arbeitsklamotten, abgewetzte Jeans und eine Jacke, die sicher in den letzten zwanzig Jahren jedes Ostern zum Bootputzen diente. Dazu eine kecke Schirmmütze.
    »Zum Dienst angetreten«, sagt sie und deutet einen militärischen Gruß an.
    »Oho«, sage ich mit einem Lächeln. »Du wirst ja jedesmal hübscher.«
    »Spar dir deine Komplimente, Casanova. Ich bin vergeben, wie du weißt.« Sie blickt enttäuscht auf die Pappkartons. »Ist das alles?«
    »Ja, die Platten lasse ich euch da, wenn du nichts dagegen hast. Anjas Vater hat ja eine Plattensammlung, die es mit der des staatlichen norwegischen Rundfunks aufnehmen kann.«
    Sie schaut sich prüfend um, will wissen, ob ich saubergemacht habe.
    »Ich habe saubergemacht«, sage ich.

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