Der Fluß
schön«, sage ich schließlich. »Ich liebe dieses Rauschen des Flusses.«
»Es ist ein Westzimmer«, sagt Marianne Skoog.
»Aha«, sage ich und sehe, daß die Sonne bereits hinter den hohen Tannen vor dem Fenster untergeht.
»Zeit, aufzubrechen«, sagt Rebecca.
»Möchtest du nicht noch eine Kleinigkeit essen?« sagt Marianne Skoog.
Sie schüttelt den Kopf. »Ich treffe mich mit Christian. Meinem Verlobten.«
»Ach so«, sagt Marianne Skoog mit einem Lächeln.
Ich merke, daß ich es lieber hätte, wenn Rebecca bliebe, daß mir davor graut, mit Marianne Skoog allein zu sein. Ich wußte nicht, daß sie etwas zu essen vorbereitet hat.
»Komm doch gelegentlich vorbei«, sagt Marianne Skoog. »Wenn du magst, spiele ich dir dann ›Ladies of the Canyon‹ vor.«
»Gerne«, sagt Rebecca.
Ich stehe zusammen mit meiner Vermieterin in der Tür und merke, daß ich erröte. Rebecca sieht es und muß es kommentieren:
»Warum wirst du rot, Aksel?«
»Die Kartons waren schwerer, als ich dachte«, sage ich.
»Ach so.« Sie küßt mich demonstrativ auf den Mund.
»Alles Gute, lieber Freund.«
»Vielen Dank und danke für deine Hilfe. Gruß an Christian, unbekannterweise.«
»Wird erledigt«, sagt Rebecca. »Passen Sie auf ihn auf«, sagt sie mit einem Blitzen in den Augen zu Marianne Skoog. »Bringen Sie ihn dazu, Joni Mitchell zu mögen. Draußen in der großen Welt ist er völlig hilflos. Er übt und übt, der arme Kerl. Er übt viel zuviel. Er weiß nicht einmal, wer die Beatles sind.«
»Ich werde mich bemühen«, versichert Marianne Skoog. »An den Abenden ist ihm ohnehin das Üben untersagt. Viel mehr kann eine Zimmerwirtin jungen, entschlossenen Männern kaum verbieten.«
»Das ist wahr«, nickt Rebecca. Dann streckt sie die Hand aus. »Danke, Frau Skoog, es war sehr nett.«
»Marianne«, sagt Marianne Skoog. »Nenn mich einfach Marianne.«
»Einverstanden«, sagt Rebecca und geht zum Auto. Winkt zurück, sie muß wieder in die Stadt, in meine Wohnung, zu ihrem Geliebten. Herrgott, denke ich, was habe ich gemacht?
Hähnchenbrust mit Marianne Skoog
In der Küche sehe ich, daß Marianne Skoog eine Flasche Rotwein bereitgestellt hat. Warum hab ich soviel Lust auf Wein? Mir wird schmerzlich bewußt, welche Bedeutung Alkohol in unserer Familie hatte. Mutter war betrunken, als sie im Wasserfall starb. Ist das erblich? Ich habe den ganzen Sommer dieses Bedürfnis verspürt. Mit Rebecca gewöhnte ich mir an, Weißwein zu trinken. »Davon wird man kreativ«, sagte sie. Ich merkte, daß sie recht hatte. Weißwein regt an. Wenn ich Weißwein trank, machte ich Konzertpläne, entwarf raffinierte Programme, stellte Beziehungen zwischen Komponisten her, sprach über Bücher, die ich nicht gelesen hatte, und über große Sinfonien. Mit Rotwein war es anders. Der Rotwein war wie eine Spritze ins Blut, eine willkommene Betäubung, ohne daß die Gefühle verschwanden. Aber er macht mich schwer, allzu schwer, dachte ich. Rotwein ist für Leute, die sich nach etwas sehnen, und sei es eine Erholung von sich selbst. Weißwein ist für Leute, die nie genug Anregung bekommen können. Es gibt Rotweinmenschen und Weißweinmenschen. Rebecca ist definitiv ein Weißweinmensch. Marianne Skoog war offenbar ein Rotweinmensch. Was ich war, wußte ich nicht. Ich wußte nur, daß ich gerne trinke und daß das für einen Konzertpianisten schädlich ist.
Marianne steht hinter mir und liest meine Gedanken.
»Du kannst eine Cola haben, wenn du willst.«
»Rotwein ist gut.«
»Ich erinnerte mich, daß du Rotwein bestellt hast, damals im Blom.«
Sie hat unseren gemeinsamen Restaurantbesuch nicht vergessen, denke ich.
»Da war ich erst siebzehn Jahre alt«, sage ich.
»Das wußte ich nicht. Ich dachte, du seist achtzehn. Aber du wirkst nun mal ziemlich erwachsen, Aksel.«
Sie macht ein Zeichen, daß ich mich hinsetzen soll.
»Mutter liebte Rotwein«, sage ich.
Sie nickt. »Ja, ich hatte sie seinerzeit als Patientin. Weil sie tot ist, kann ich darüber reden. Jedenfalls mit ihrem Sohn. Sie war nicht sehr glücklich über ihre Trinkerei.«
»Nein. Der Alkohol kostete sie das Leben. Sie hatte damals, bevor der Unfall am Zigeunerfelsen passierte, zwei Flaschen Rotwein intus. Der Rotwein machte sie schwermütig. Die letzten Jahre merkte ich, daß sie schneller zornig wurde, schon nach einigen Gläsern. Es schmerzt, daran zu denken, daß sie zornig war, als sie starb.«
»Bei manchen läuft das so«, nickt Marianne und mischt ein Dressing
Weitere Kostenlose Bücher