Der Fluß
»Überzeuge dich.«
Sie inspiziert jede Ecke. Sogar den berühmten Finger läßt sie über den Fenstersims gleiten.
»Hm«, sagt sie erstaunt. »Wen hast du angeheuert, um sauberzumachen?«
»Habe ich selbst gemacht«, sage ich.
Sie schaut mich anerkennend an. »Daß du ordentlich bist, war mir klar. Aber das hier!? Männer sind doch nicht so?« »Mutter war so«, sage ich. »Das ist alles.«
Sie wirft einen Blick ins Bad. Späht in die Kloschüssel.
»Dir wird es gutgehen im Leben«, sagt sie mit einem Lächeln.
»Ja, wenn dazu sonst nichts nötig ist«, sage ich.
Wir sitzen im Auto, ein amerikanischer Jeep, von denen es zu dieser Zeit nur wenige in Norwegen gibt.
»Papas Firmenwagen«, erklärt sie mit einem Grinsen.
»Dachte ich mir fast«, sage ich und hole eine Packung Zigaretten hervor, um sie zu überraschen.
»Mensch, Aksel«, sagt sie begeistert. »Ist es jetzt bei dir auch soweit?«
»Nein, nicht wirklich«, gebe ich zu, »aber Marianne raucht doch.«
Sie dreht die Augen gen Himmel. »Ja, aber sie ist doch nicht deine Geliebte? Dann wäre es verständlich. Aber die Gewohnheiten seiner Zimmerwirtin zu übernehmen? Sie ist doch deine Vermieterin, oder?«
»Natürlich«, sage ich, »aber es riecht im ganzen Haus nach Rauch.«
»Na dann«, sagt sie und fährt los.
Dann fällt ihr etwas ein.
»Wie viele Jahre sind eigentlich zwischen dir und Anjas Mama?«
»Siebzehn«, antworte ich.
»Also ist sie fünfunddreißig.«
»Ganz genau.«
»Sie könnte deine Mutter sein.«
»Stimmt. Sie war achtzehn Jahre, als sie Anja bekam.«
Pause. Wir passieren Heggeli.
Dann wirft sie mir einen vorsichtigen Blick zu. »Du Aksel?« »Ja?«
»Was würde eigentlich deine Schwester zu dieser Aktion sagen? Daß du bei Skoogs einziehst, meine ich. Cathrine war doch auch Anjas Geliebte?«
Ich erröte leicht. Es ist mir unangenehm, darüber zu reden. »Was heißt schon Anjas Geliebte? Cathrine hat völlig mit diesen Beziehungen aufgehört, jedenfalls vorerst. Letzten Mittwoch erhielt ich eine Postkarte von ihr. Rate woher?« »Ist sie nicht mit Interrail in Europa unterwegs?«
»Aus Srinagar«, sage ich.
Rebecca stößt einen Pfiff aus. »Alle müssen jetzt nach Indien. Daran sind die Beatles schuld.«
»Wer sind die Beatles?« frage ich.
»Aksel, verarsch mich jetzt nicht. Hast du nicht mitgekriegt, daß sie auseinandergegangen sind?«
Ich schüttle den Kopf. »Wann sollte ich Zeit haben, Popmusik zu hören.«
Sie verdreht die Augen gen Himmel. »Die Beatles, das ist keine Popmusik. Das ist Kunst! Auf einer Stufe mit Richard Strauss!«
»Selma Lynge will ein Buch über Richard Strauss schreiben«, sage ich.
»Dachte ich mir fast. Merkst du übrigens, wie du ständig vom Thema ablenkst?«
»Du hast die Beatles erwähnt. Ich habe über Cathrine gesprochen.«
»Und was hält sie deiner Meinung nach von der Sache?«
»Dürfte ihr schnurzegal sein. Obwohl das natürlich auch für sie mit viel Gefühl verbunden ist.«
»Weiß sie schon, was sie mit ihrem Leben machen will?«
»Nein.«
»Tröste dich, Aksel, du weißt es immerhin. Du wirst in neun Monaten debütieren.«
»Ja, entgegen deinem Rat.«
Sie streichelt kurz meine Wange.
»Ich werde trotzdem auf deiner Seite sein, mein Freund.«
Einzug im Elvefaret
Die Sonne steht noch hoch über den Bäumen auf der anderen Seite von Lysakerelven, als Rebecca vom steilen Melumveien nach rechts abbiegt. Sekunden später parken wir vor dem Skoog-Haus, und beim Öffnen der Autotür spüre ich die Kälte. Ich friere, ohne eigentlich zu wissen, warum. Kaum haben Rebecca und ich unsere Türen mit einem Knall zugeschlagen, da öffnet sich die Haustür, und Marianne Skoog tritt heraus, in Jeans und einem hellblauen Baumwollpulli. Die Farben machen sie jünger. Die Ähnlichkeit mit Anja ist so frappant, daß Rebecca mühsam einen Schrei unterdrückt. Jetzt fällt mir auch auf, daß sich Marianne Skoog im Sommer die Haare hat wachsen lassen. Dadurch ähnelt sie Anja noch mehr. Erst als sie näher kommt, erkennt man die kleinen, fast unsichtbaren Falten in ihrem Gesicht. Auch die Stimme ist wie die von Anja, klingt dunkler, als man es dem Aussehen nach vermutet hätte.
»Willkommen Aksel«, sagt sie und streckt mir die Hand hin, blickt mir fest in die Augen, als wolle sie sagen, daß sie ihren Entschluß nicht bereut habe.
»Vielen Dank«, sage ich und befinde mich auf einmal in gehobener Stimmung, weil dies geschieht, weil mein Leben eine Wendung nimmt, weil die
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