Der Fluß
genügt jetzt.«
Erste Nacht im Elvefaret
Ich bleibe noch einige Minuten sitzen, aber wir finden kein neues Gesprächsthema, und sie wirkt abgespannt. Es ist immer noch viel in der Flasche. Ich leere mein Glas und erhebe mich.
»Vielen Dank«, sage ich. »Es war ein gemütlicher Abend.« Sie lächelt müde. »Für mich auch. Es ist gut, dich im Haus zu haben, Aksel. Ach übrigens, ich vergaß die Schlüssel.«
Sie zieht einen Schlüsselbund aus der Tasche und reicht ihn mir.
»Hier. Ein Schlüssel für die Haustür. Ein anderer für Anjas Zimmer … also dein Zimmer. Der dritte ist für den Keller.«
»Danke.«
Sie bleibt sitzen und lächelt hinauf zu mir. »Dann hoffe ich, daß du eine gute Nacht in deinem neuen Haus hast.«
»Habe ich gewiß.«
»Rebecca ist nett. Du solltest sie dir sichern, bevor es zu spät ist.«
»Es ist bereits zu spät«, lächle ich.
Sie zuckt die Schultern. »Das Leben ist voller Möglichkeiten.«
Ich nicke.
»Und morgen ist ein normaler Tag. Du erinnerst dich daran, was wir abgesprochen haben?«
»Ja. Ich habe mir alles aufgeschrieben und werde es an die Wand hängen. Das Bad gehört dir zwischen sieben und acht und so weiter.«
»Findest du, ich bin rigide?«
»Nein, du bist großzügig. Du wolltest nicht einmal eine Kaution.«
Ich ziehe einen Fünfhunderterschein aus der Tasche.
»Für September«, sage ich.
Das kommt überraschend für sie, und der Schein ist so groß.
»Danke«, sagt sie trotzdem. »Wenn überall Chaos herrscht, ist es schön, irgendwo Ordnung zu haben.«
Ich verbeuge mich und werfe dabei einen raschen Blick auf ihren Teller. Sie hat fast nichts gegessen.
Sie hat fast nichts gegessen. Ich gehe hinauf in »mein Reich«. Es ist, als habe das Zimmer auf mich gewartet. Jetzt ist es kalt hier drinnen. Ich trete ans Fenster, höre das Rauschen des Flusses, das sich mit dem Rauschen der hohen Tannen vermischt. Septemberwind. Genau so muß Anja gestanden haben. Abend für Abend. Was dachte sie dann? Ich denke daran, daß ich mich jetzt konzentrieren muß. Mir stehen große Aufgaben bevor. Ich freue mich bereits auf den morgigen Tag. Da werde ich sieben Stunden am Stück üben.
Ich schließe das Fenster.
Dann packe ich die Kartons aus. Das ist rasch erledigt. Anjas Kleider sind aus dem Schrank entfernt. Ich kann meinen Konzertanzug, die Jeans und die Hemden aufhängen. Ich lege T-Shirts, Unterhosen und Socken in die Schubladen. Mutter hat mir das Wichtigste beigebracht: Ordnung und Selbständigkeit. Das muß für eine Weile reichen.
Nach einer halben Stunde ist fast alles an seinem Platz. So geht das als Untermieter. Ich sehe die Blumen, die Marianne Skoog in eine Vase gestellt hat. Ich entdecke auch eine Kerze und Zündhölzer. Soll ich sie anzünden? Ich zögere, mache es dann doch und merke sofort, daß mir der Plattenspieleraus der Sorgenfrigata fehlt. Die Abendstunden sind wichtig für große Gedanken und große Musik. Mahlers Sinfonien. Bruckner, Brahms und Schostakowitsch. Ich beschließe, mir einen tragbaren Plattenspieler mit Kopfhörer zu kaufen.
Dann sitze ich im Korbstuhl am Schreibtisch und betrachte die brennende Kerze. Mir fällt ein, daß ich an Anja denken sollte, aber jetzt, wo ich in ihrem Zimmer bin, erscheint das überflüssig. Außerdem bin ich müde.
Ich weiß nicht, wie lange ich so saß. Als ich auf die Uhr schaue, ist es nach Mitternacht. Nun kann ich ins Bad, denke ich.
Zum Glück hat das Bad ein Schloß. Es gibt Menschen, bei denen man das Bad nicht zuschließen kann. Ich schließe sorgfältig ab. Habe den Bademantel dabei, mein eigenes Handtuch und meinen Kulturbeutel. Marianne Skoog ist noch nicht im Bad gewesen. Also sollte ich mich beeilen. Ich dusche, stelle erfreut fest, daß der Strahl stark ist, daß das Wasser warm ist, daß ich lange hätte stehen können und daß auch die eiskalte Dusche, mit der ich mein Ritual zu beenden pflege, kalt genug ist. Es ist seltsam, daran zu denken, daß auch Anja hier gestanden hat, Jahr für Jahr, daß Bror Skoog hier stand, daß Marianne Skoog bald hier stehen wird. Sie waren eine so enge Gemeinschaft. Ich fühle mich wie ein Eindringling, wenn ich die schwarzweißen Fliesen aus den fünfziger Jahren sehe und meinen Körper in den riesigen Spiegeln.
Dann drehe ich den Hahn zu, putze die Zähne, gurgle und mache mich bereit für die Nacht.
Ich betrachte mich im Spiegel.
Würde dir das gefallen, Anja? Würde dir das gefallen, daß ich hier bin, in deinem Zimmer?
Ich gehe
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