Der Fluß
werden sich an sie erinnern, denke ich. Sie wissen nicht, wie sie heißt, aber sie werden sich an die blonde Frau erinnern, die die Arme in die Luft reckte, als es zu regnen begann. Sie werden sich erinnern, wie lebensfroh und zufrieden sie aussah.
Sie sitzt neben mir und blickt ausdruckslos vor sich hin.
Ich wage nicht, etwas zu sagen.
Wir fassen uns nicht bei der Hand, als wir den Melumveien hinunter zum Elvefaret gehen. Man sieht deutlich, daß sie über etwas nachdenkt. Raucht und nachdenkt. Ich habe ihr wenigstens Feuer gegeben, denke ich.
Dann betreten wir ihr Haus.
Wir sind kein Liebespaar mehr. Ich bin nur Untermieter. Sie hat die Schlüssel. Sie ist die Hauswirtin. Ich stehe hinter ihr. Es ist fast, als wolle sie mich nicht in ihrer Nähe haben. Aber wir haben trotz allem einen Mietvertrag, denke ich. Ich bleibe stehen.
Sie läßt mich ein, ohne mich zu beachten. Als wäre ich Luft für sie. Sie raucht und denkt. Verliert sich in einer Welt, zu der ich nie einen Zugang haben werde. Mir ist klar, daß ich jetzt behutsam sein muß, daß ich sie jetzt nicht unnötig stören darf. Sie geht in die Küche.
»Gute Nacht«, sage ich.
»Gute Nacht«, sagt sie.
Neue Nacht als Untermieter
Ich gehe die Treppe hinauf in mein Zimmer. Ich öffne das Fenster, höre das Rauschendes Flusses. Ich denke an Rebecca. An ihr Gesicht, als sie versuchte, mir etwas Wichtiges zu erzählen. Was soll ich jetzt machen? Am besten gehe ich ins Bad, denke ich. Ich will mich waschen, reinwaschen, obwohl ich mich nicht schmutzig fühle. Ich möchte bereit sein.
Ich putze die Zähne, nachdem ich geduscht habe. Dann gehe ich zurück ins Zimmer.
Mit einem Gefühl der Unruhe lege ich mich ins Bett. Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Karte, die ich über Marianne Skoogs Persönlichkeit zu zeichnen versuche, unübersichtlicher. In diesem Bett haben wir uns vor ein paar Stunden geliebt. Jetzt ist sie nicht hier. Sie ging in die Küche. Will sie etwas essen wie in jener ersten Nacht? War das Steak nicht genug? Nicht genug Béarnaise und Pommes frites?
Ich wage nicht, ihr nachzuspionieren. Jedenfalls nicht an diesem Abend.
Statt dessen rolle ich mich zusammen und versuche zu schlafen.
Da kommt die Musik aus dem Wohnzimmer. Wieder Joni Mitchell. Marianne Skoog spielt aus »Ladies of the Canyon«. Sie spielt »Woodstock«:
»We are stardust. We are golden. And we’ve got to get ourselves back to the garden.«
Ich liege im Bett und höre zu. Sie will mich nicht dabeihaben. Sie will allein im Wohnzimmer sitzen und Musik hören. Da denke ich: So verhält man sich nach einer langen Beziehung, wenn alles seine Form gefunden hat. Aber Marianne Skoog und ich haben unsere Form noch nicht gefunden.
Ich liege halb schlafend im Bett. Ich lausche der Musik. Ich fühle mich traurig. Zieht sich Marianne Skoog jetzt von mir zurück? War das Ganze nur ein Schlag ins Wasser? Denkt sie an das, was ich gesagt habe, daß ich vielleicht einnegatives Element in ihrem Leben bin? Bedeutet das, daß ich nicht mehr spüren darf, wie sie neben mir liegt? Der Gedanke versetzt mich in Panik. Wie dumm, daß ich das gesagt habe! Versucht habe, klug und erwachsen zu erscheinen. Aber werde ich jemals etwas anderes sein als altklug? Ich bin fast 19 Jahre alt, habe aber ein übersteigertes Bedürfnis, mich an Frauen zu binden. Sogar Frauen, die mich schlagen, bete ich an. Woher kommt dieser verrückte und störende Drang nach Liebe? Störend jedenfalls für meine Karriere. Und wenn Marianne Skoog keine Frauenärztin wäre, was sie ja nun mal ist? Und wenn sie nun schwanger würde von mir? Der Gedanke ist nicht einmal erschreckend. Der Gedanke, ein Kind mit Marianne Skoog zu bekommen, ein Halbgeschwister von Anja, erscheint mir im Moment verführerisch. Aber ist das nicht eine kranke Idee? Ist da nicht ein fast perverser Zug an mir, wenn ich solche Gedanken zulasse? Ich habe mich bereits in eine grauenhafte und umfassende Abhängigkeit von ihr begeben, denke ich. Innerhalb weniger Tage habe ich es soweit gebracht, daß ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen kann. Ich unterwerfe mich ihrem Willen, ihren ständigen Stimmungsschwankungen. Sie hat einen Einfluß auf mich, wie ihn nicht einmal Anja hatte. Oder spielt mir hier die Erinnerung einen Streich? Ich war bereit, zu sagen, daß Anja Skoog die Liebe meines Lebens war, nachdem ich sie nur wenige Minuten gekannt hatte. Jetzt möchte ich dasselbe über ihre Mutter sagen. Ich weiß, daß sie es schwer hat,
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