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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Vinding. Hörst du nicht den eleganten Vortrag? Den gefühlvollen Anschlag? Ich bin beeindruckt, das muß ich sagen.«
    »Aber was hörst du denn?«
    »Dasselbe wie du natürlich. Hörst du nicht den Beginn von op. 110? Das sollte ja eigentlich Anja spielen. Selma Lynge, Anja und ich hatten diesbezüglich einen Pakt.«
    »Einen Pakt?«
    »Ja, wir hatten jedenfalls eine Abmachung.«
    »Was für eine Abmachung?«
    Er schnaubt. »Warum fragt du? Du kennst schließlich Selmas Abmachungen.«
    »Und ich spiele jetzt? Spiele ich wirklich?«
    »Ja. Kannst du es wirklich nicht hören?«
    »Nein«, sage ich.
    »Schade«, sagt er. »Denn es war wirklich ein phantastisches Konzert.«
    »Aber ich habe es ja noch gar nicht gegeben!«
    »Doch, hast du. Ich habe mir die erste Platte gesichert. Das erste Probeexemplar der Life-Aufnahme. In diesem Raum ist die Zukunft gegenwärtig. Ich dachte, du wolltest mich deshalb treffen?«
    »Deshalb bin ich nicht hereingekommen«, sage ich.
    »Na gut«, sagt er.
    »Ich bin vielleicht nicht so von Musik besessen wie du und Anja.«
    »Warum hast du mich dann aufgesucht? Und warum setzt du dich Selma Lynge aus?«
    »Weil ich nicht anders kann. Weil ich mich entschieden habe. Weil sie ein Konzept hat. Weil es zu spät ist, umzukehren.«
    »Es ist nie zu spät, umzukehren.«
    »Nein, und vielleicht bin ich deshalb hereingekommen. Um dich das sagen zu hören.«
    »Womit kann ich dir denn helfen, mein Junge?«
    »Ich möchte wissen, ob du an dem Tag, bevor du dir das Leben nahmst, gewußt hast, daß du Selbstmord begehen würdest. Ob das eine genau geplante Aktion war oder die Reaktion auf eine akute Geisteskrankheit.«
    »Da ist eine unpassende Frage, die ich nicht beantworte. Warum fragst du?«
    »Ich weiß es nicht genau«, sage ich. »Aber ich glaube, die Frage ist wichtig. Und ich dachte, die Toten könnten eine Antwort geben.«
    »Der Tod gibt nie Antworten, mein Junge. Aber er gibt einem Frieden. Einigen von uns ist das genug. Mehr als genug. Gehe jetzt hinaus zu unseren Frauen. Sie brauchen dich.« »Aber warum stehen sie beide da?« sage ich. »Anja ist doch tot, und Marianne Skoog ist noch lebendig?«
    Bror Skoog nickt mit dem, was von seinem Kopf übrig ist. Da schießt das Blut aus seiner Nase. Ich wende mich ab.
    »Ebendeshalb sollst du zu ihnen hinausgehen«, sagt er. »Eine von ihnen braucht dich gerade jetzt ganz besonders.«
    »Du findest es nicht geschmacklos, daß ich in deinem Haus wohne? Daß ich mit Anja geschlafen habe? Daß ich mit deiner Frau schlafe?«
    Er schüttelt den Kopf. »Ich möchte, daß du dich willkommen fühlst«, sagt er. »Mach dir keine Gedanken. Daß du und Anja euch liebtet, war eine Freude. Daß du jetzt ein Verhältnis mit Marianne hast, ist natürlich. Sie ist impulsiv. Sie haut ab. Sie kommt zurück. Sie entscheidet sich nie. Aber das kriegst du noch raus. Es wird alles gut werden. Ich habe die Aufnahme deines Debütkonzertes. Hörst du das feine Knistern des Vinyls? Hörst du die Pausen? Wie eine lange, leere Stille? Das ist wahrlich ein phantastisches Konzert, findest du nicht? Du machst alles, was Anja nicht gelang. Du hast Intensität, mein Junge. Ich gratuliere dir.«
    »Danke.«
    »Und jetzt werde ich dir erzählen, wie ich es gemacht habe und was das hinterher für ein Gefühl war.«
    »Danke«, sage ich. »Das wollte ich ja hören.«
    »Ich bin in den Kellerraum mit der Kühltruhe gegangen. Dort hatte ich eine Schrotflinte stehen. Die hatte ich schon jahrelang nicht mehr benutzt. Man hatte mir eben etwas sehr Unangenehmes erzählt. Mir war klar, daß ich nicht weiterleben konnte. Es ist ja seltsam mit Symbolen, nicht wahr? Ich war Hirnchirurg. Ich war Facharzt für Neurologie. Ich wußte über diesen Teil des Körpers Bescheid. Und ich wollte eben das Gehirn loswerden. Ich mußte es wegpusten.«
    »Aber Anja lebte da noch!«
    »Ja, aber das war nur eine Frage von Tagen. Das wußte ich. Deshalb ging ich hinunter in den Keller. Deshalb ließ ich es zu. Merkwürdigerweise ist es sehr leicht, Aksel. Es ist nichtso schwer, wie du glaubst. Es wird alles gutgehen, hörst du? Es wird gutgehen! Und danach? Komm und fühle.«
    Er nimmt meine Hand. Er steckt sie in den leeren Schädel. Er führt sie hinunter zum Gaumen. In die Kehle. Es ist feucht da unten. Vom Blut. Dann verschluckt er meine Hand.
Die Trauerzelle
    Ich werde von einem Schrei geweckt. Es ist mein eigener. Ich bin verwirrt, benommen von meinem eigenen Entsetzen, daß mich mein Alptraum so

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