Der Fluß
das Festival in Monterey dachte, als Hendrix die Gitarre in Brand steckte, sein Instrument zerstörte, das Wertvollste, was er besaß. Inzwischen hat er sicher genügend Gitarren, aber die Symbolik ist trotzdem überzeugend. Und ich erinnere mich, daß ich dachte: Diesen Weg hätte ich auch gehen können. Den Weg der Freiheit, auf dem alles möglich ist. Auch den Flügel in Brand stecken ist möglich. Das wäre mir bisher nicht im Traum eingefallen. Ich weiß, daß ich einen anderen Weg gewählt habe. Den Weg des Gehorsams. Jemand ist klüger als ich. Selma Lynge ist klüger als ich. Ich muß auf sie hören und lernen. So ist das Leben. Das ist meine äußere Hülle.
»Wahnsinn, daß du tatsächlich dort warst«, sage ich zu Marianne Skoog, als der Film zu Ende ist, als wir nachüber drei Stunden etwas benommen von unseren Plätzen aufstehen. Es ist später Sonntag abend, und ich freue mich, heimzukommen in den Elvefaret und mit ihr allein zu sein. »Wahnsinn, daß wir dich gesehen haben!«
»Ja, Wahnsinn, daß ich meinen BH der ganzen Welt gezeigt habe«, sagt Marianne Skoog mit einer lakonischen Falte auf der Stirn und einem vorsichtigen Lächeln.
»Toll«, sagt Rebecca anerkennend zu ihr und wirft uns anderen einen mitleidigen Blick zu.
»Du warst einfach schön«, sage ich wieder. Idiotisch bis zum letzten.
»Verwende nicht solche Ausdrücke«, sagt Marianne Skoog gereizt.
Ich erröte vor Scham. Es ist das erstemal, daß sie sich über mich ärgert.
»Wußtest du, daß du gefilmt wirst?« fragt Rebecca interessiert und berührt mich rasch mit dem Finger, als wolle sie mich trösten. »Es sah fast so aus.«
»Ja«, sagt Marianne Skoog etwas verlegen. »Ich merkte natürlich, daß in dem Moment, als der Regen anfing, die Kamera auf mich gerichtet war. Ich dachte, ich könnte es witzig aussehen lassen, und tat so, als würde ich duschen.« Ja, denke ich, es war schon ein etwas exhibitionistischer Anblick. Eine Frauenärztin aus Norwegen, die für einige Tage von Mann und Kind abgehauen ist. Eine Sozialistin. Eine Rockerin. Offen für die Welt. Und das war im Spätsommer 1969. Da war es noch nicht selbstverständlich, mal kurz über den Atlantik zu fliegen.
Nach Hause kommen
Rebecca und Christian wollen durch den Slottsparken und den Bogstadveien nach Hause gehen. Wir gehen an der Haltestelle Nationaltheatret die Treppe hinunter zu unserem unterirdischen Bahnsteig.Christian wirkt verwirrt und nachdenklich. Der Abend war kein besonderer Erfolg für ihn. Rebeccas Blick, direkt auf mich gerichtet, gibt zu erkennen, daß sie ernstlich besorgt ist um uns alle.
Diesmal küßt sie mich nicht auf den Mund. Wir umarmen uns nur kurz.
Darüber bin ich froh, denke ich mit einem raschen Seitenblick auf den wartenden Christian. Er verabschiedet sich höflich von uns. Er wirkt bedrückt. Das Glück hat Rebecca mit ihm nicht gefunden. Sie hat Christian Langballe gefunden. Eine komplizierte und schwerfällige Persönlichkeit. Warum kann ich ihr das nicht sagen? Sie sagt mir ja auch immer wieder die Wahrheit. Warum kann ich nicht sagen: »Das Glück, Rebecca, hat dieser Mann nicht. Verlasse ihn so schnell wie möglich! Er ist das Negative in deinem Leben. Marianne Skoog kennt sich damit aus. Verstehst du?« Nein, das kann ich nicht sagen. Das hält unsere Freundschaft nicht aus. Zu Rebecca kann ich im Moment nur sagen: »Ich bin froh, dein Verflossener zu sein.«
Dann bin ich wieder mit Marianne Skoog allein. Je näher ich ihr komme, um so weniger habe ich das Gefühl, sie eigentlich zu kennen, denke ich. Und das ist kein angenehmer Gedanke. Die Vertrautheit, die sie mir einflößt, erzeugt keine neue Vertrautheit. Nur neue Fragen. Ich betrachte sie verstohlen von meinem Sitzplatz neben ihr. Die Pupillen sind nicht mehr so groß. Sie greift zum Tabak, dreht sich eine Zigarette. Ich habe die Zündhölzer parat. Straßenbahn heimwärts nach Røa an einem späten Sonntagabend.
Das ist mein Leben gewesen, denke ich. Jahr für Jahr. Die Straßenbahn nach Røa, hin und zurück. Das ist ziemlich weit von Woodstock entfernt.
Marianne Skoog blickt vor sich hin und raucht.
Ich sollte etwas sagen, denke ich. Sollte mich bedanken. Siehat mich eingeladen, mit ihr auszugehen. Sie hat mir etwas gezeigt, was für uns beide wichtig ist. Und sie hat es der ganzen Welt gezeigt. Wie werde ich je ihren schönen Körper vergessen, den weißen BH, die verspielte, lebensbejahende Art, unter freiem Himmel zu duschen. Tausende von Männern
Weitere Kostenlose Bücher