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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Weinen.
    »Warum weinst du?« sage ich endlich, als die Tränen versiegt sind.
    »Frag nicht«, sagt sie. »Frag bitte nicht.«
    Wir liegen dicht beieinander.
    »Du darfst jetzt nicht mehr grübeln«, sagt sie.
    »Ich grüble pausenlos«, sage ich.
    »Jetzt sollst du so tun, als würdest du schlafen«, sagt sie plötzlich lachend. »Zähl einfach Schafe.«
    »Ich zähle«, sage ich artig.
    »Wie weit bist du gekommen? Ich gebe nicht nach, bevor wir die Fünftausend erreicht haben.«
    »Fünftausend? Das sind viele Schafe«, sage ich.
    »Und es werden noch mehr«, sagt sie. »Glaub mir.«
    Sie weiß genau, wie sie es machen muß.
    »Ich liebe dich«, sage ich.
    »Sei still«, sagt sie.
    »Genau das hat Anja auch gesagt«, sage ich.
    »Ich bin nicht Anja«, sagt sie.
Ein Traum
    Ich versinke in einem Traum. Anja und Marianne Skoog stehen zu beiden Seiten einer schweren Tür. Mutter und Tochter, schwarz gekleidet, und ihre Gesichter sind gezeichnet von Trauer.
    »Ist da drinnen ein Tempel?« frage ich.
    »Nein, nur ein Mensch.«
    »Wer ist es?« frage ich.
    »Es ist Bror Skoog.«
    »Ich kannte ihn«, sage ich. »Ich weiß jedenfalls, wer er war. Kann ich reingehen zu ihm?«
    »Er hat sich in den Kopf geschossen«, sagt Anja. »Es ist nicht sicher, ob er mit dir sprechen will.«
    »Aber ich muß ihm etwas Wichtiges sagen. Kann ich es nicht einmal versuchen?« frage ich.
    »Versuch es«, sagt Marianne Skoog. »Er freut sich sicher über Besuch. Da drinnen ist es ziemlich einsam.«
    Sie öffnen mir die Tür. Ich betrete einen Kirchenraum, oder ist es ein Konzertsaal? Ich sehe zwei große Lautsprecher zu beiden Seiten des Mittelganges. Ich sehe den größten Mc-Intosh-Verstärker. Ich sehe einen vergoldeten Plattenspieler mit japanischem Namen. Eine Vinylplatte liegt auf dem Teller. Der Tonabnehmer liegt auf der dritten Spur. Aber es kommt kein Laut.
    »Bror Skoog?« sage ich. »Bist du da?«
    Keine Antwort.
    Ich setze mich auf eine Bank. Warte.
    Da bewegt sich etwas wie ein Schatten drüben in einer Ecke.
    Der Schatten erhebt sich und kommt auf mich zu. Bror Skoog. Ich weiß, daß er es ist, obwohl er sich das Hirn aus dem Kopf gepustet hat. Er jagte mir zu Lebzeiten als Taschenlampenmann Angst ein. Er jagt mir jetzt als Toter noch mehr Angst ein. Die rechte Schläfe ist weggepustet. Die Augen befinden sich noch an ihrem Platz im Schädel, sind aber blutunterlaufen und leblos. Von der Nase und aus einem Mundwinkel tropft Blut.
    »Du siehst besser aus, als ich dachte«, sage ich.
    Er lacht ein krankes Lachen. »Du hast ein Talent für Höflichkeit, Aksel Vinding. Du wirst es weit bringen bei den Frauen. Aber ob du es auch mit der Musik weit bringst?« »Das wird sich zeigen.«
    Er nickt mit dem, was vom Kopf übrig ist.
    »Was ist aus deinem Hirn geworden?« frage ich, um überhaupt etwas zu sagen.
    »Das ist gegen die Wand geklatscht, in dem Keller, wo die Kühltruhe steht. Bist du nicht unten gewesen und hast es gesehen?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Da ist nicht mehr viel zu sehen. Das meiste ist weggeputzt, wie so oft im Leben. Ist es nicht seltsam, wie das Leben immer wieder über den Tod siegt? Bei Waterloo blühen jetzt neue Bäume. In der Hölle der Indianer bei Connecticut wohnen jetzt die reichsten Menschen der Erde. Und wenn du mal in die Gegend von Auschwitz kommst, kann ich dir ein paar ausgezeichnete Restaurants empfehlen.«
    »Deshalb bin ich nicht hergekommen«, sage ich.
    »Nein? Warum dann?« fragt er mit seinen leblosen Augen. Nur die Stimme ist die gleiche.
    »Ich weiß es nicht genau«, sage ich. »Ich sah nur Anja und Marianne Skoog an einer Tür stehen.«
    Er nickt. »Und deshalb durftest du diese Tür öffnen?«
    »Ja, so war es.«
    »Weil du mit beiden geschlafen hast«, nickt er.
    »Vielleicht«, sage ich. »Sind du und ich nicht in der gleichen Situation?«
    »Ich habe nie mit Anja geschlafen«, sagt er ruhig. »Du mußt den Gerüchten keinen Glauben schenken. Das Gehirn habe ich mir aus ganz anderen Gründen weggeblasen.«
    »Welche anderen Gründe?«
    »Das mußt du selbst herausfinden. Im wirklichen Leben. Das hier ist nur ein Traum.«
    »Kannst du mir nicht wenigstens einen Hinweis geben?« frage ich. Kannst du mir nicht wenigstens sagen, welche Musik du auf dem Plattenspieler spielst?«
    »Hörst du es nicht?« sagt er.
    »Nein«, sage ich.
    »Dann sperr deine Ohren auf«, sagt er.
    »Ich höre nichts.«
    »Wirklich nichts? Nicht eine Phrase? Nicht eine Note? Das ist dein Debütkonzert, Aksel

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