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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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die Lebensgeister wiedererwachten.
    Er trat aus der Dusche und rubbelte sich mit einem fadenscheinigen Handtuch trocken, bis seine Haut gerötet war. Immer noch nackt, rasierte er sich mit kaltem Wasser.
    Er tappte ins Schlafzimmer und legte frische Unterwäsche, Hemd und Krawatte aufs Bett. Erst mal zwanzig, sagte er sich. Er ließ sich auf den Boden fallen und schaffte auf die Schnelle zehn Liegestütze. Er lachte laut. Das muss genügen. Er drehte sich auf den Rücken und absolvierte fünfundzwanzig Sit-ups mit angezogenen Knien, die Hände ohne zu mogeln hinter dem Kopf verschränkt. Sein Bruder hatte ihm einmal erklärt, nur so seien sie wirksam. Doug hatte keine Gymnastik nötig. Er war immer stark, immer in Form. Er konnte den ganzen Kühlschrank leeressen, ohne ein Gramm zuzunehmen. Martin Jeffers stand auf und betrachtete sich im Spiegel über der Frisierkommode. Eigentlich gar nicht mal übel, dachte er. Trotz der sitzenden Tätigkeit. Fang wieder mit dem Jogging an, oder such dir einen Tennispartner. In null Komma nichts wieder auf Draht. Er zog sich schnell an und sah auf die Uhr.
    Er dachte an Detective Barren. Für ihr Treffen hatte er ihr keine bestimmte Uhrzeit genannt, doch er wusste, dass sie früh da sein würde. Er schüttelte den Kopf. Nein, dachte er, es ist nichts bewiesen. Ganz und gar nichts.
    Es liegt in der Natur von Brüdern, immer zu übertreiben, im Guten wie im Schlechten. Das überdauert die Kindheit mitihrer fortgesetzten Mischung aus Liebe, Eifersucht und ungezügelten Emotionen, die ganz natürlich dazugehören. Na schön, Doug hat einen Vogel getötet, während du immer gedacht, nein, vermutet hast, dass es dein Vater war. Du hast dich geirrt, aber das macht deinen Bruder noch lange nicht zum Mörder. Ganz und gar nicht.
    Martin Jeffers’ Hände hielten mitten in der Bewegung inne, als er sich gerade die Krawatte band. Das Gefühl von Selbstbetrug überwältigte ihn wie ein heftiger Schlag. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, als könnte er auf diese Weise den qualvollen Gedanken von sich weisen. Mit lauter, fester Stimme sagte er:
    »Also, was immer Doug auch sein mag, und du hast verdammt noch mal keinen Beweis, keinen einzigen handfesten Beweis für irgendetwas, egal, was die gottverdammte Polizistin sagt, er ist immer noch dein gottverdammter Bruder, und das sollte wohl auch etwas zählen.«
    Die lauten Worte in dem leeren Zimmer trösteten ihn für einen Moment, doch der nächste unabweisbare Gedanke kam gleich hinterher: Er war lange genug Arzt, um den klinischen Sachverhalt der Realitätsverleugnung zu erkennen. Sogar bei sich selbst.
    Immer noch zwischen Ungläubigkeit und Erkenntnis hin und her geworfen, misstrauisch gegenüber seinen eigenen Erinnerungen und Gefühlen sowie der Erkenntnis, die über Jahre in ihm herangereift war, machte sich Martin Jeffers auf den Weg zur Klinik. Die Polizistin auf ihrem Beobachtungsposten gegenüber seines Hauses entdeckte er nicht.
     
    Sie wartete zehn Minuten, um ganz sicher zu sein.
    Doch der zügige Gang und der starre Blick sagten ihr, dass der Doktor unverzüglich zu ihrer Verabredung in der Anstaltfahren würde, nachdem er sich vermutlich die ganze Nacht gequält hatte.
    Er bekommt seine Verabredung, dachte sie, nur nicht ganz so schnell, wie er es wohl erwartet. Wieder machte ihr das Vorhaben ein wenig zu schaffen. Die eine Stimme in ihr gab zu bedenken: Du weißt genug. Er wird sich überwinden und dir seine Hilfe anbieten. Doch die Pessimistin in ihr hielt da gegen, dass der Arzt sie nie darin unterstützen würde, den eigenen Bruder zu finden, solange sie ihm nicht klarmachen konnte, dass ihm gar nichts anderes übrigblieb. Du brauchst einen Trumpf im Ärmel, wieso also nicht in dieser Wohnung danach suchen. Außerdem war sie nicht sicher, was sie von Martin Jeffers halten sollte. Falls er es weiß, dachte sie, dann behält er sein Geheimnis vielleicht schon seit Jahren für sich. Sie dachte an den erstaunten Ausdruck, den er so schnell zu kaschieren verstand, nachdem sie mit ihrem Anliegen herausgeplatzt war. Vielleicht ist er ja selbst ein Killer. Vielleicht, vielleicht. Einerseits fühlte sie sich durch ihr Wissen gestärkt, andererseits durch ihre Mutmaßungen geschwächt, und ihr war klar, dass sie erst einmal mehr in Erfahrung bringen musste. Fakten, dachte sie. Die nackte Wahrheit. Beweise.
    Sie beendete den Widerstreit und schlüpfte aus dem Wagen. Nach einem prüfenden Blick in alle Richtungen schlenderte

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