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Der Frauenjäger

Der Frauenjäger

Titel: Der Frauenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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zeigte, dass sie sich von der Kuhle aus zuerst in die entgegengesetzte Richtung und dann in einem großen Bogen auf den Graben zu bewegt hatte, ehe der seinerseits einen größeren Bogen schlug und mit dem diffusen Hintergrund verschmolz. Dort hatte sie dann wahrscheinlich zum zweiten Mal die Seite gewechselt.
    Ansonsten dehnte sich rundum eine von Felsbrocken und Dellen durchbrochene, schier endlose Steinwüste, die sich dort, wo der Fackelschein nichts mehr ausrichtete, in der Schwärze verlor. Keine Spuren von Rädern, Rollen oder Tritten in ihrer Nähe. Aber auf dem unebenen Untergrund war es schwer, überhaupt etwas anderes zu erkennen als Steine, den Graben und die Linien, die ihre Hände und Knie gezogen hatten.
    Es war entmutigend.
    Was nun?
    Sitzen bleiben und abwarten, bis der Mistkerl kam oder ihr einen Fingerzeig auf den Ausgang gab? Ihre Beine plädierten dafür, das sei die einzige und vernünftige Lösung. Die Knie sahen übel aus, was zum Teil an den ausgefransten, schmutzigen Rändern der hier völlig durchgescheuerten Hose und Strumpfhose liegen mochte. Vielleicht war es in Wahrheit gar nicht so dramatisch. Ein schönes, warmes Bad, die Schürfwunden gründlich ausgewaschen, mit Jod betupft und mit Heilsalbe beschmiert. Und nächste oder übernächste Woche könnte sie vielleicht schon wieder Kniebeugen und Ausfallschritte machen, bis dahin nur Rückengymnastik und Bauchmuskelübungen auf der Matte. Nicht nur Werner hielt sich fit. Sie turnte nur nicht so regelmäßig wie er.
    Aber erst mal musste sie hier raus. Und wenn der Mistkerl nicht so bald kam? Wenn er überhaupt nicht kam? Und auch nichts unternahm, um sie auf den Weg ins Freie zu bringen? Etwas in ihr begann an dem Glauben zu nagen, dass es sich umeine Strafaktion handelte. Für ihre kleinen Vergehen wäre es eine sehr drastische Strafe gewesen, was eigentlich gar nicht zu Werner passte.
    Um nicht in Tränen auszubrechen, richtete sie ihr Augenmerk wieder auf die einzig sichtbare Wand. Wenigstens da gab es einiges zu entdecken. Es schien kein massiver Fels zu sein. Hier und da und dort machte sie in unterschiedlichen Höhen dunklere Stellen aus. Nischen oder Löcher im Stein, Kriechgänge womöglich.
    Weiter hinten – rechter Hand aus ihrer derzeitigen Position – gab es auch einen größeren Durchlass, der sah fast aus wie ein Torbogen. Vielleicht lag der Ausgang dahinter, auch wenn es erst mal bergab ging. Dahinter ging es möglicherweise wieder bergauf. Und wenn nicht   …
    Sie wollte nicht wieder an Wasser denken, aber es hätte doch sein können, dass hinter diesem Durchlass welches floss. Dass sie es in den vergangenen Stunden mal lauter, mal leiser gehört hatte, weil sie sich quasi seitlich an der
Badezimmertür
vorbeibewegt hatte. Auf jeden Fall schien der Durchlass der einzige Punkt weit und breit, den zu erreichen sie für lohnend erachtete.
    Sie zog mit den Augen eine möglichst gerade Linie dorthin und versuchte, sich so viele Details der Bodenbeschaffenheit wie nur möglich einzuprägen, um nicht wieder den großen Umweg zum Graben kriechen zu müssen.
    Das schwächer werdende Licht zeigte an, dass ihre Fackel fast am Ende war, noch eine halbe Umwindung von Stoff unter dem abstehenden Knubbel, über den die Schnalle eingehakt war. Sie schaute automatisch hin, was sie bisher vermieden hatte, um sich nicht selbst zu blenden. Und die Form des Knubbels, den sie zuvor nur betastet hatte, war beim Betrachten seltsam vertraut. Auf Abbildungen hatte sie so ein Teil schon gesehen. Ihr fiel auch sofort ein, wo: in dem Anatomiebuch, das sie für Johannagekauft hatte, weil ihre Tochter doch unbedingt Medizin studieren wollte.
    Sie ließ ihre erlöschende Fackel nicht nur los, als habe sie sich nun doch die Finger verbrannt. Sie schleuderte das vier Handbreit lange Teil so heftig von sich, dass noch einige Funken stoben, ehe es ringsum wieder schwarz wurde und sie sich einzureden versuchte, es habe nur so ähnlich ausgesehen wie ein Oberschenkelknochen.

15.   Januar 2010 – Freitagmorgen
    Um zehn vor sechs holte Werners Radiowecker sie in den noch stockdunklen Tag. Ich und ich sangen vom Pflaster für die Seele. Werner lag schon neben dem Bett und machte Liegestütze. Im Nebenzimmer erkundigte sich Leonard, ob er zuerst ins Bad könne. Was Johanna ihm antwortete, verstand Marlene nicht. Das Zimmer ihrer Tochter lag zur Straße hin. Aber da er versprach, sich zu beeilen, war die Reaktion wohl in seinem Sinne.
    Werner ging zu

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