Der Frauenjäger
Merz nicht unnötig mit Dreck bewerfen.»
«Meinst du?», fragte Annette noch einmal, diesmal mit Blick auf Werner. Der nickte nur.
Annette schniefte und wühlte in den Taschen ihrer Jeans nach einem Papiertaschentuch. Nachdem sie sich die Nase geputzt hatte, erzählte sie noch: «Josch hatte ihr am Dienstagnachmittag das Versprechen abgenommen, keine Lesungen mehr zu machen. Aber kaum hatte er ihr den Rücken gekehrt … Er musste am Mittwoch für einen erkrankten Kollegen einspringen. Sie wusste, dass er erst am Donnerstagmorgen zurückkäme, und hat die Gelegenheit sofort genutzt, um mich anzurufen. Bei mir konnte sie sicher sein, dass ich sofort zugreife. Verrücktes Weib. Was hat sie sich nur dabei gedacht? Ich fühle mich regelrecht benutzt.»
Zu Recht, fand Marlene. Und als sei
benutzt
das Stichwort, lächelte Karola erleichtert. «Es war trotzdem ein toller Abend und eine gute Sendung heute Vormittag, belassen wir es dabei.»
«Es war eine Sendung auf Marlenes Kosten», erwiderte Werner und nahm sie doch noch ins Visier. «Was hast du dir dabei gedacht, sie als Freundin dieser Schnapsdrossel zu präsentieren?»
Mit einem lässigen Achselzucken meinte Karola: «Wenn du keinen Aufstand deswegen machst, tut es auch sonst keiner. Morgen haben die Leute es wieder vergessen. Aber wenn du schon mal hier bist, kannst du vielleicht einen Blick auf meine Kellertür …»
«Schon erledigt», sagte Werner. «Ich habe nicht nur geblickt, ich habe auch gehämmert. Viel ausgerichtet habe ich allerdings nicht. Wegen der Uhrzeit und der Nachbarn wollte ich nicht zu lange auf dem Schließblech herumklopfen. Es liegt auch nicht am Blech. Der Rahmen ist verzogen.»
Annette verabschiedete sich. Auch Werner wollte heimfahren. Es war spät genug, Viertel nach elf. Und nur Karola konnte amnächsten Morgen ausschlafen, weil sie freitags als Frau Heinze in der Abendsendung eines Kollegen Horoskope erstellte.
Als sie vor Karolas Tür wieder in Werners Auto stieg, war Marlene zufrieden, fast stolz auf sich, weil sie bisher nicht wortbrüchig geworden war und nicht vorhatte, Andreas jetzt noch zu erwähnen. Die Behauptung, mit der sie Karola bei Herrn König losgeeist hatte, zählte nicht. Das war, wie Annette vermutlich gesagt hätte, doch nur ein Joke gewesen.
Sie rechnete damit, dass Werner sich während der kurzen Heimfahrt nach ihrer Traurigkeit erkundigte. Seiner Miene und den verstohlenen Blicken nach zu schließen, beschäftigte ihn das immer noch. Aber er erzählte ihr stattdessen etwas von trockenen Alkoholikern, der Rückfallquote und der Tatsache, dass man sich in jedem Menschen täuschen konnte. Vielleicht war das eine Anspielung auf ihre Gefühle. Möglicherweise hoffte er, dass sie von sich aus das Thema anschnitt. Doch danach war ihr nicht.
Sie sah immer noch Heidrun Merz die Hand über das Sektglas halten und um Wasser bitten, als hätte die Autorin zu dem Zeitpunkt nicht vorgehabt, sich sinnlos zu betrinken. Einerseits war sie schockiert von der Kneipengeschichte, andererseits erleichtert, weil sich der Tod von Monas Schwester so simpel erklärte, dass es müßig schien, noch einen Gedanken daran zu verschwenden. Aber natürlich dachte sie trotzdem an nichts anderes.
Eine trockene Alkoholikerin, die nach einem Schlückchen Sekt oder ein paar unangenehmen Fragen von einem freiberuflichen Journalisten rückfällig wurde. Warum mochte Heidrun Merz das Trinken überhaupt angefangen haben? Weil sie während ihrer Schwangerschaft einmal fünf Minuten zu spät ins Schlafzimmer gekommen war und ihr Freund sich in der Zeit mit einer Gardinenschnur erdrosselt hatte? Oder weil siedanach kein Ohr für Monas obszöne Liebesgeschichte gehabt hatte und sich Vorwürfe machte, nachdem ihre Schwester verschwunden war?
Und warum meinte Josch Thalmann, sie hätte dieses Buch nie schreiben und gewiss nicht damit auf Tournee gehen dürfen?
Daheim angekommen, gingen sie gleich nach oben. Und obwohl es schon so spät war, stand Werner offenbar noch der Sinn nach Zärtlichkeit und Leidenschaft. Er folgte ihr ins Bad und legte gleich los. Normalerweise genoss sie es, wenn er ihr so deutlich zeigte, dass sie auf ihn noch dieselbe erotische Wirkung hatte wie er auf sie. Doch jetzt war es ihr unangenehm. Die Eindrücke des Tages passten nicht zu einem Quickie vor dem Waschbecken. Vor allem das Elend im Hause König verhinderte, dass sie Werners Einsatz genießen konnte.
Er merkte schnell, dass sie nicht bei der Sache war und
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