Der Frauenjäger
anschließend ein Schlückchen Sekt, das lockert die Zungen, könnte für eine Diskussion ganz nützlich sein.»
Noch während sie sprach, drückte sie eine Kurzwahl und sagte übergangslos: «Kirsten, schau mal nach, wie viele von den einfachen Sektgläsern im Schrank stehen. Du weißt schon, die billigen, die Papa mal für die Weihnachtsfeier in der Agentur gekauft hat.»
Sie horchte sekundenlang, dann fluchte sie leise: «Mist, ich dachte, das wären drei Dutzend. Da kann man nichts machen. Dann nimm die Guten dazu, aber pack sie bloß ordentlich ein.»
«Du brauchst nicht drei Dutzend Gläser», sagte Marlene. «Die meisten Leute gehen garantiert sofort nach der Lesung.»
So war es bisher immer gewesen. Annette horchte ins Telefon und widersprach gleichzeitig: «Das glaubst aber nur du. Wer kommt, der bleibt, bis ich um acht alle rauswerfe. Das wirstdu erleben. Wir fangen mit dem Band an. Die Merz hat mich gestern Abend reinhören lassen – grauenhaft, sage ich dir. Das arme Ding, mir blieb fast das Herz stehen.» Der nächste Satz ging wieder ins Telefon: «Dann müsst ihr eben zweimal gehen. Ihr habt doch Zeit.»
Zeit hatte Marlene ebenfalls, sogar im Überfluss. Und dass drei technisch unbedarfte junge Mädchen Christophs Multimediaanlage auseinandernahmen – man brauchte ja nicht alle Teile, um ein Tonband abzuspielen –, dass sie die notwendigen Geräte, zwei mannshohe Lautsprecherboxen, jede im Gegenwert eines Kleinwagens, etliche Kabel, zwei Dutzend billige Sektgläser und ein Dutzend, für das Annette auf der Hochzeitsreise in Venedig ein Vermögen bezahlt hatte, unbeschadet auf ihren Rädern über vereiste Straßen und schlecht geräumte Gehwege transportieren sollten, erschien ihr ziemlich viel verlangt.
«Ich kann die Sachen abholen», bot sie an.
Annette atmete erleichtert durch. «Lieb von dir. Dann bring auch das Mikro mit, sicherheitshalber. Die Merz sprach am Telefon ziemlich leise. Es müsste neben dem Receiver liegen. Und kontrollier mal, ob sie die Gläser gut eingepackt haben.»
«Mach ich», versprach Marlene und wandte sich dem Ausgang zu. Annette hielt sie am Arm zurück.
«Und du kommst heute Abend. Ich verlass mich darauf. Es lohnt sich, Marlene, glaub mir. Es ist ein Riesenunterschied, ob man es liest oder ob man es hört.»
«Ja», sagte Marlene nur und ging. Draußen schaute sie sich die drei Computerausdrucke genauer an.
Mittwoch, 13. Januar, 18 Uhr
Heidrun Merz liest aus
Monas Tagebuch.
Eintritt frei.
Der Titel in Verbindung mit dem vollständigen Namen der Autorin ließ bei ihr zwar etwas klingeln. Aber viel klüger wurdesie nicht, dachte nur, dass es kaum eine fiktive Geschichte sein könne, so wie Annette zuletzt gesprochen hatte.
Aus
Annettes Bücherstube
ging Marlene nicht geradewegs zum Parkplatz. Sie kehrte zurück zur weitläufigen Verkaufsfläche des eigentlichen Einkaufscenters, steuerte die Haushaltswarenabteilung an und kaufte drei Dutzend schlichte, preisgünstige Sektgläser. Es war die reinste Verschwendung, aber es besänftigte das schlechte Gewissen, das wieder an ihr nagte.
Wenn sie nichts für Ulla tun konnte, dann eben für Annette, die auch nicht auf Rosen gebettet war und ihre dumme Bemerkung bestimmt nicht böse gemeint hatte.
Sie wollte die Gläser sofort zur Bücherstube bringen, was ohne Hilfe jedoch nicht zu schaffen war. Es waren sechs Kartons, sie hatte keinen Einkaufswagen dabei. Von der Haushaltswarenabteilung bis zu den Kassen übernahm eine Verkäuferin die Hälfte. Für den restlichen Transportweg stellte eine blonde Frau in den Dreißigern, die hinter ihr an der Kasse stand, ihren Wagen zur Verfügung und erkundigte sich auch nach dem Grund für die vermeintliche Feier.
Annette fasste es gar nicht. «Bist du verrückt, Marlene! Zwölf Stück hätten doch vollkommen gereicht, bei mir stehen vierundzwanzig im Schrank.» Aber Annette freute sich riesig über die großzügige Geste. Nun besaß sie sechsunddreißig identische Gläser. Ob sie am Abend gebraucht wurden oder irgendwann später, so hatte es einfach mehr Stil. Und damit waren die drei Chinesen aus der Welt.
Anschließend fuhr Marlene in die Reihenhaussiedlung, in der Annette und Christoph vor fünfzehn Jahren ein Eckhaus gekauft hatten. Es war nicht so geräumig wie das ihre, aber entschieden größer als das Häuschen, in dem Ulla mit ihrer Familie lebte.
Arme Ulla. Man musste sie doch bedauern. Mit dem Taxizum Krankenhaus! Und wieder zurück! Was das wohl
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