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Der Frauenjäger

Der Frauenjäger

Titel: Der Frauenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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gekostet hatte? Ulla brauchte ein neues Auto. Aber wovon? Was mochte sie am frühen Morgen empfunden haben bei der Entscheidung zur Operation? Eine grausame Vorstellung! Sie hätte das nicht gekonnt, meinte Marlene, den Ärzten zustimmen. «Wenn Sie meinen, dass es sein muss, schneiden Sie meinem Sohn ein Bein ab.»
    Und was mochte Ulla empfinden, wenn sie sich nicht bei Scheidweber & Co verkriechen und mit Arbeit betäuben konnte? Wenn sie am Bett ihres Sohnes sitzen, die eigene Verzweiflung und den Zorn hinten anstellen und die verzweifelte Wut eines Siebzehnjährigen über sich ergehen lassen musste? Ein Bein verloren aus Leichtsinn, Dummheit und dem Bedürfnis, sich groß und stark zu fühlen. Die Gründe spielten doch keine Rolle, Thomas Kranich hatte am Sonntagabend in dem Moment auf der Kreuzung sein gesamtes Leben verpfuscht.
    Im Grunde waren es immer nur Momente, in denen sich ein Schicksal entschied. Wenn sie damals nicht gleichzeitig mit den vier Männern in dieser Disco gewesen wären, wenn Karola nicht in der Menge das blaue Hemd entdeckt hätte oder die Würfel anders gefallen wären   …
    Vielleicht hatte Ulla sich schon mehr als einmal ausgemalt, wie ihr Leben verlaufen wäre, hätte sie vor dreiundzwanzig Jahren nicht mit Annette getauscht oder Karola Erfolg bei Werner gehabt und Andreas sich eine andere
Cleo
aus dem Kleeblatt pflücken müssen. Für wen der Abenteurer sich entschieden hätte, stand für Marlene außer Frage.
    Dann müsste Karola nicht drei Vormittage und drei halbe Nächte pro Woche im Lokalsender sitzen und nicht fürchten, nachts auf einsamer Landstraße mit ihrem klapprigen Ford Escort liegenzubleiben und einem Sittlichkeitsverbrecher in die Hände zu fallen. Karola könnte sich nachmittags auf derTerrasse oder im Wohnzimmer des Hauses, das Werner dann für sie gebaut hätte, mit Illustrierten und einem Astrologiebuch beschäftigen.
    Matthias hätte zusammen mit Annette eine umsatzstarke Buchhandelskette aufgebaut. Annette mit ihrer praktischen Ader hätte dem Kranich schon die Flügel gestutzt und eine Pleite ebenso verhindert wie Wachsflecken auf Badewannenrändern. Küssen konnte man doch auch bei Lampenlicht.
    Christoph hätte Marlene tagsüber in seiner Versicherungsagentur beschäftigt, abends über ihre Diätrezepte gelästert und sie mit seinen oft zweideutigen Scherzen zum Lachen gebracht. Und Ulla wäre mit Andreas in die Sahara entschwunden und hätte sich zwischen endlosen Sanddünen die eigenen Beine gebrochen.
    Marlene fühlte eine Welle von Erleichterung durch den gesamten Leib fluten, als sie die Fahrräder von Johanna, Kirsten und Julia auf dem kurzen Plattenweg vor Barlows Haustür stehen sah.
    Die Mädchen freuten sich über ihr unerwartetes Erscheinen. Sie waren im Wohnzimmer damit beschäftigt, Sektgläser in Küchenkrepp zu wickeln und in einen Wäschekorb zu legen. Ein Glas war schon zu Bruch gegangen, Gott sei Dank eins von den billigen. Der Verstärker und ein Tapedeck mit zwei Laufwerken standen transportbereit auf dem Esstisch, ebenso zwei kleine Lautsprecherboxen, die zu Annettes Kompaktstereoanlage in der Küche gehörten. Die großen Lautsprecher aus dem Wohnzimmer wären auf Fahrrädern auch nicht zu transportieren gewesen. Mit Marlenes Van schon eher. Aber wozu? Die kleinen reichten doch.
    Kirsten hatte Paketschnur bereitgelegt, um die Geräte auf den Rädern zu befestigen. Nun trugen sie stattdessen alles hinaus und verstauten es im Van. Nur der Korb mit den Gläsern blieb zurück. Marlene suchte währenddessen nach dem Mikrophon.Es lag nicht an dem von Annette bezeichneten Platz, sondern in einem Schubfach der Schrankwand.
    Es wäre ihr lieb gewesen, die Mädchen im Wagen mitzunehmen. Thomas Kranich und sein verlorenes Bein gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf, obwohl das mit einem Auto und nicht mit dem Fahrrad passiert war. Aber Julia musste nach Hause, weil Karola doch ihre Älteste und deren indischen Freund abholen wollte. Stefanie sollte mit zur Lesung, Atmajyoti derweil aufs Haus aufpassen. Julia hatte mit dem Namen keine Schwierigkeiten, ob sie ihn korrekt aussprach, stand auf einem anderen Blatt.
    Marlene verstand nicht, wieso einer aufs Haus aufpassen musste. «Die Kelleraußentür geht nicht mehr richtig zu», erklärte Julia auf Nachfrage. «Das Schließblech ist total ausgebeult. Mutti sagte, das sieht aus, als hätte jemand versucht, bei uns einzubrechen. Man muss von außen nur leicht dagegen drücken, dann springt die Tür auf,

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