Der Frauenjäger
erklärten Willen ihres Mannes mietete sie im Einkaufscenter ein kleines Ladenlokal und richtete
Annettes Bücherstube
ein.
Bei der Eröffnungsparty im April war Andreas Jäger noch dabei und sagte: «Du hast es richtig gemacht, Nette. Auch wenn es eine Menge Stress, viele schlaflose Nächte und noch einige Diskussionen mit Chris nach sich ziehen sollte, man muss an sich glauben und tun, wozu man sich berufen fühlt. Sonst merkt man irgendwann nicht mehr, dass man überhaupt noch lebt.»
Andreas sprach nicht einmal Ulla mit ihrem gebräuchlichen Vornamen an. Weil es daran nichts abzuknapsen gab, nannteer sie «Ulli». Werner war für ihn seit Kindertagen «Wewe», was nichts mit Wehleidigkeit zu tun hatte, es waren einfach nur die Anfangsbuchstaben von Vor- und Nachnamen.
Matthias hieß «Matti». Zu Marlene sagte er «Lenchen» – richtig ernst genommen hatte er sie nie. Und Karola war seine «Cleo» gewesen, ehe sie zu «Mutti» mutierte.
Nur ein paar Wochen später, am 16. Mai 2006, fuhr Andreas morgens wie üblich um sieben zur Arbeit, ohne etwas Besonderes von zu Hause mitzunehmen. Karola vermisste zwar tags darauf zwei seiner Outdoor-Hosen, doch wie sich herausstellte, waren die in der Wäsche.
Andreas leitete die Fertigungsabteilung bei Scheidweber & Co, wo seit geraumer Zeit auch Ulla beschäftigt war. Den Tag über unterhielt er sich noch mit ihr wie tausendmal zuvor. Kein Wort über Urlaubspläne, keine Andeutung, er wolle sich mal wieder den trockenen Wüstenwind der Freiheit und etwas Sand um die Nase wehen lassen oder endlich mal in den Dschungel.
Wann er an dem Dienstag die Firma verlassen hatte, wusste kein Mensch. Ulla machte wie alle anderen um fünf Feierabend, da saß Andreas noch in seinem Büro und gab ihr einen schönen Gruß an Matti, ihre Mutter und die Kinder mit auf den Heimweg. Danach sah ihn niemand mehr.
Obwohl er in der Firma keinen Urlaub genommen und daheim keine entsprechenden Vorbereitungen getroffen hatte, waren anfangs alle überzeugt, Andreas käme wie üblich nach vier Wochen zurück. Sogar Karola glaubte, er genehmige sich nur wieder eine Auszeit vom Familienleben – und diesmal garantiert in weiblicher Begleitung. Zur selben Zeit wie er verschwand nämlich eine junge Nachbarin, deren Mann vermutete, sie hätte etwas mit Andreas. Das Packen hätte wohl sein Techtelmechtel übernommen, mutmaßte Karola.
Die Nachbarin tauchte jedoch Ende Mai wieder auf undprotestierte vehement gegen die Unterstellung, mit Andreas unterwegs gewesen zu sein und etwas über seinen Verbleib zu wissen.
«Sehe ich aus, als würde ich mich von so einem alten Knacker besteigen lassen?»
Andreas war zweiundvierzig, weiß Gott kein Alter, um derart tituliert zu werden. Und laut Karola ließ das
«Nachbarsfrüchtchen»
sich noch von ganz anderen und wesentlich älteren Knackern besteigen.
Für Karola war es eine Katastrophe. Ihre Schwiegermutter, die eine stattliche Witwenrente bezogen hatte, war Anfang des Jahres ganz plötzlich verstorben. Überdosis Beruhigungs- und Schlafmittel, hatte der Hausarzt vermutet und einen Tod infolge Herzschwäche bescheinigt.
Karolas Eltern lebten mittlerweile in einem Seniorenheim, da blieb von der Rente nichts übrig. Geschwister, die sie eine Weile über Wasser hätten halten können, gab es nicht.
Nach dem Begräbnis seiner Mutter hatte Andreas von einer umfangreichen Renovierung des Hauses gesprochen. Ein neuer Heizkessel war in der Zwischenzeit eingebaut, aber noch nicht bezahlt worden. Es wäre noch mehr zu erneuern oder zu renovieren gewesen. Das Schlafzimmer seiner Mutter, Badezimmer, Toilette im Erdgeschoss, Türen, Fenster, Fußböden. Geld für die Handwerker hatte Andreas auf die Seite gelegt. Im Gegensatz zu Werner konnte, vielmehr wollte er nicht alles selber machen. Aber als Karola sich zur Bank bemühte, war das Sparkonto abgeräumt.
Scheidweber & Co zeigten sich kulant und überwiesen noch das volle Gehalt für Mai. Gleichzeitig machte man Karola klar, dass sie mit keinem weiteren Cent rechnen könne. Man müsse schließlich einen Ersatz für Andreas suchen und bezahlen.
Auch wenn niemand es offen aussprach, wurde deutlich, dass Andreas gegenüber der Geschäftsleitung eine Bemerkung gemacht haben musste, aus der man den Schluss zog, ihn nicht so bald wiederzusehen.
Notgedrungen plünderte Karola die Sparbücher ihrer Töchter, um den Installateur zu bezahlen, ehe der auf die Idee kam, den neuen Heizkessel wieder auszubauen. Die beiden
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