Der Frauenjäger
Schlafzimmer. Das war Anfang Mai 2006. Verständlich, dass sie danach keine Nerven mehr für Monas verhängnisvolle Affäre hatte. Mona hat ihr wohl einiges über den Typ erzählt, was in den Tagebüchern nicht auftauchte. Aber sie hat ihr nicht aufmerksam zugehört.»
«Woher weißt du das?», fragte Marlene.
«Von Annette. Seit das Buch auf dem Markt war, hat sie häufig mit Heidrun Merz wegen einer Lesung telefoniert. Da wurde es auch mal persönlich.»
«Und Frau Merz hat vorher nie erwähnt, dass Mona den Typ Andy Jäger nannte?»
«Den Jäger», korrigierte Karola und zuckte mit den Achseln. «Das musst du Annette fragen. Ich habe das gestern Abend zum ersten Mal gehört.» Wie um vom Thema abzulenken, deutete sie gleich anschließend auf das Exemplar neben Marlenes Suppentasse und erkundigte sich ungläubig: «Und du hast es wirklich noch nicht gelesen? Mal abgesehen von den paar Seiten eben im Studio.»
Jetzt war Marlene dran mit Kopfschütteln.
«Warum nicht?», fragte Karola wieder, diesmal verständnislos. «Annette hat es dir doch garantiert empfohlen.»
«Ich habe wohl mal reingeschaut, aber es hat mich nicht interessiert», erklärte Marlene.
«Warum sollte es auch?», meinte Karola daraufhin. Mit einem Mal klang sie bedrückt. «Du mit deinem fürsorglichen, unfehlbaren Göttergatten kannst Verzweiflung und Trostlosigkeit doch nicht mal buchstabieren. Man braucht wohl gewisse Erfahrungen, um sich auf so einen Stoff einzulassen. Ich hab’sauch nicht gelesen, Marlene. Verschlungen habe ich es. An einem einzigen Abend. Anschließend habe ich drei Nächte nicht geschlafen und mich gefreut, dass ich noch lebe.»
Karola löffelte sorgsam den Rest ihres Nachschlags aus der Suppentasse. Den Kopf hielt sie gesenkt, als sei ihr das Geständnis peinlich. «An manchen Stellen dachte ich, das könnte ich geschrieben haben. Ich hatte ein paar Momente, wenn die Mädchen nicht gewesen wären, hätte ich mich vielleicht …»
Mitten im Satz brach sie wieder ab, hob den Kopf und fixierte Marlene mit einer Mischung aus Misstrauen und Feindseligkeit. «Wenn das morgen bei Annette und Ulla angekommen ist, erfährt nächste Woche der gesamte Kreis, dass ich heute einer Betrügerin aufgesessen bin und du dich nur wichtigmachen wolltest.»
Das war eine unverhohlene Drohung, die noch dazu die Tatsachen verdrehte. Eigentlich hätte Marlene wütend werden müssen. Aber sie wunderte sich nur. Wie wollte Karola beurteilen, ob sie Verzweiflung oder Trostlosigkeit kannte?
«Ich glaube kaum, dass Ulla derzeit ein Ohr für deine längst verjährten Probleme hat», sagte sie.
«Wieso nicht?», fragte Karola. «Die lenken von der eigenen Bredouille ab. Und Annette hat garantiert zwei Ohren. Dafür hatte sie noch nie gravierende Probleme. Das bisschen Zoff ums Geld früher zählt nicht. Seit sie den Laden hat, ist das Thema ja auch gegessen.»
«Wenn du meinst, dass ich meinen Mund nicht halten kann, halt doch einfach deinen», empfahl Marlene. «Habe ich dich etwa gefragt, wie du dich bei der Lektüre gefühlt hast?»
Karola lächelte resignierend. «Schon gut. Ich weiß, dass ihr Andreas bedauert habt. Für euch war er der große Junge, dem ich die Tour vermasselt habe. Dabei wollte er nur im Sand spielen.» Karola schnaubte, aus ihrem bitteren Lächeln wurde ein verächtliches Lachen. «Afrika!», stieß sie hervor. «Weißt du, waspassiert, wenn eine im sechsten Monat schwangere Frau ihren Kreislauf in heißen Salzwasserbädern auf die Wüste einstellt?»
Marlenes Antwort wartete sie nicht ab. «Im Normalfall gibt es vorzeitige Wehen. Der werdende Vater baute darauf, seine Liebste bald wieder durch Wald und Flur hetzen zu können. Er spielte gerne
Hasch mich
in freier Natur. Mit zunehmendem Leibesumfang war ich aber nicht mehr so gelenkig, dass ich unbedingt mitspielen wollte. Hat allerdings nicht so funktioniert, wie er sich das vorstellte. Meine Gebärmutter ließ sich nicht einheizen. Wahrscheinlich lag ich nicht lange genug in der Wanne. Mir wurde ziemlich schnell übel. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich das bedauert habe. Wäre Stefanie nicht gewesen, hätte ich es riskiert, ihn zu verlassen.»
«Das hättest du auch mit Stefanie tun können», sagte Marlene. «Deine Eltern hätten euch nicht vor der Tür stehenlassen.»
«Nein», stimmte Karola zu. «Sie hätten sich wahrscheinlich noch gefreut. Fragt sich nur, wie lange. Andreas hat mehr als einmal gesagt, dass ihn keine verlässt. Er schickt die
Weitere Kostenlose Bücher