Der Fremde aus dem Meer
während sie um ihn herumging und sich dicht neben Ramsey stellte. Er sieht himmlisch aus, dachte sie.
»Meine Mutter. Es war ihre Leidenschaft.« In sein zärtliches Lächeln mischte sich bitterer Gram. »Sie war ganz Dame, wohlerzogen und gebildet. Doch das Pianoforte war die Freiheit, die sie für sich beanspruchte. Sie hätte sicher sehr gern auf diesem hier gespielt. Der Klang«, er sah hinunter auf die Tasten, »ist einfach überaus reich und voll.«
»Pianoforte? Dies hier ist ein Flügel, Ramsey, ein Steinway.«
Er nickte langsam, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass ihm das irgendetwas sagte.
»Spielst du?«, fragte er.
»Um Himmels willen, nein. Ich bin froh, wenn ich ein paar Tonleitern herunterhämmern kann, ohne dass es nach einem sterbenden Maultier klingt.«
»Warum besitzt du dann ein solches Instrument?«
Sie hob eine Schulter und ließ sie gleich wieder sinken. »Hank spielt ein wenig. Deshalb lasse ich es auch stimmen. Es war auch schon in dem Haus, als ich es kaufte.« Sie beobachtete, wie seine langen, sonnengebräunten Finger über die Tasten glitten und stellte sie sich auf ihrer Haut vor. Dann platzte sie plötzlich heraus. »Was ist das für ein Stück?«
Der graue Seidenmantel spannte sich über seinen mächtigen Schultern. »Vater hat es ihr Nachtlied genannt.«
»Deine Mutter hat komponiert?«, stieß Penny ungläubig hervor.
»Ja, so ist es.« Es klang verteidigend, aber leise.
»Warum Nachtlied?« Zwischen ihren Brauen zeichnete sich eine kleine senkrechte Falte ab.
Er berührte die Tasten noch sachter, und der Ton war nun kaum noch vernehmbar, war aber doch noch da ... Verführerisch und verlockend umwehte er sie wie ein sanfter Hauch. »Sie spielte für ihn, meinen Vater. Wenn die Kleinen ins Bett gesteckt waren, liebte er es, seine Pfeife zu schmauchen, ihr zuzuschauen und darauf zu warten, bis es sie berauschte.«
Sie stützte den Ellbogen auf den Flügel und das Kinn in die Hand. »Ich weiß nicht, ob ich das richtig verstehe.«
Ein spitzbübisches Licht blitzte in seinen Augen auf. »Ich hatte mich einmal unter der Treppe versteckt«, gestand er leise, als ob es sonst jemand hören könnte. »Ich war gerade zwölf Jahre alt, also noch kein Mann, obwohl ich mich bereits dafür hielt. Während sie spielte, stand mein Vater gemächlich auf und klopfte seine Pfeife aus. Sie lächelte ihn an. Mit einem Lächeln, das ich erst drei Mal zuvor zwischen ihnen bemerkt hatte und das ich erst verstand, als ich meine erste Frau gehabt hatte.« Penny sah ihn nachdenklich an, und er hob seine Brauen. »Mutter beachtete ihn nicht, als er sich hinter sie stellte. Vater strich ihr das Haar von der Schulter und küsste die freie Stelle. Und da warf sie sich in seine Arme. Er liebte sie auf dem Fußboden des Salons.«
Penny richtete sich auf. Ihre Augen waren weit geöffnet, die Augenbrauen hochgezogen. »Du hast sie tatsächlich beobachtet?«
Auf seinen Lippen zitterte ein Lächeln. Sie sah so anbetungswürdig empört aus. »In der Tat.«
»Ramsey!«
»Ich hatte zu viel Angst, erwischt zu werden und die wohlverdienten Prügel zu beziehen.« Er zuckte mit den Schultern. »Es war wild und schon vorbei, kaum dass ich es bemerkt hatte.« Seine Finger verharrten reglos. Die letzten Töne verklangen in der Stille, als sich ihre Blicke begegneten. »So wie zwischen dir und mir, Penelope.«
Ihre Haut wurde von einer sanften Hitze durchglüht. »Das zwischen uns war ein Fehler.« Etwas in ihr schrie auf und wollte die Worte zurücknehmen.
Er warf ihr einen durchtriebenen Blick zu, während er jeweils nur eine Taste anschlug. »Vielleicht könnten ein oder zwei Küsse noch als ein Beispiel irregeführten Urteilsvermögens angesehen werden, aber was, Penelope, ist mit jener süßen Leidenschaft, die du in meinen Armen, unter meiner Berührung empfunden hast?« Er schüttelte den Kopf. »Darin kannst du dich niemals getäuscht haben!«
Sie richtete sich noch ein wenig gerader auf. »Mein lieber
Mann, bist du arrogant, O’Keefe! Hat dir das schon einmal jemand gesagt?«
Ramsey dachte an Tess, und wie leicht sie seine schönsten Verführungskünste zunichte gemacht hatte, als sie zusammen an Bord der Sea Witch diniert hatten.
»Ja, und zwar ziemlich deutlich und brutal, wie ich zu meiner Schande leider gestehen muss. Aber ich muss dabei doch auch in Rechnung stellen, dass das Mädchen sich in einen anderen verliebt hatte ...« Er ließ ein schurkisch-freches Grinsen aufblitzen ... »Und
Weitere Kostenlose Bücher