Der fremde Sohn (German Edition)
zitternden Händen nahm er den Joint.
»Bitte sag mir, was passiert ist«, wiederholte Dayna.
Max wusste: Wenn es einer verstehen würde, dann war es Dayna. Aber nach allem, was im Park geschehen war – nach ihrem Kuss –, wie konnte er es sich da mit dem einzigen Mädchen verderben, das er wirklich mochte? An seiner alten Schule hatte es auch einige gegeben, die ihm gefielen, aber keine war wie Dayna. Außerdem waren diese anderen einer der Gründe dafür gewesen, dass er das Internat verlassen hatte. Denn dort hatten sie nur ihre Spiele mit ihm getrieben. Für sie war das alles nichts als ein Riesenspaß gewesen, damit er auflief und dumm dastand. Und die Lehrer hatten stillschweigend über dieses widerwärtige Verhalten hinweggesehen. Fast schien es, als gehörte man in Denningham erst richtig dazu, nachdem man gnadenlos gemobbt, schikaniert, bespuckt, verprügelt, gedemütigt, lächerlich gemacht und ausgeraubt worden war.
Max drehte sich weg und begann zu würgen, doch es kam nichts. Er hatte noch immer diesen Geschmack im Mund. »Es ist wirklich nichts. Ich hab einfach einen schlechten Tag, das ist alles.« Er erinnerte sich, wie er die gleichen Worte zu seinem Tutor in Denningham gesagt hatte. »Aber was ist mit dir? Du siehst aus, als ob du gerannt bist«, setzte er hinzu, um das Thema zu wechseln.
Dayna seufzte. »Ja, ich bin vor diesen blöden Ziegen abgehauen.«
Ihr Grinsen wirkte unbekümmert, doch Max ließ sich nicht täuschen. »Was haben sie getan?«
»Das Übliche. Sie wollten mich kriegen, aber ich war schneller.« Sie lachte ihr heiseres Lachen, nahm ihm den Joint aus der Hand und tat einen Zug. Als sie ihn zurückgab, war er ein wenig feucht. Max gefiel das – eine winzige Spur von Dayna. »Aber jetzt will ich wissen, worüber du dich so aufgeregt hast. Du machst hier einen auf cool, aber so bist du doch gar nicht.«
In diesem Augenblick zog innerhalb von wenigen Sekunden seine gesamte Kindheit an Max vorüber. Vielleicht lag es an dem, was sie gesagt hatte, dachte er. So bist du doch gar nicht . Durch den Nebel und die Verwirrung in seinem Kopf sah er alles wieder ganz deutlich vor sich: die Bande in der Dusche von Denningham, den Stiefel auf seiner Schläfe, als er am Boden lag und sie ihm die EC -Karte aus der Tasche zogen; den Fünfjährigen im Kindergarten, der ihm den Stuhl wegzog, als er sich gerade setzen wollte, und die übrigen Kinder, die darüber lachten; seine Eltern, die immer zu beschäftigt waren, um ihm zuzuhören; seinen gebrochenen Knöchel, nachdem sie ihn die Treppe hinuntergestoßen hatten; all die Sachen, die sie ihm gestohlen hatten: Taschenrechner, Bücher, seine Geldbörse, sein Essensgeld, das Handy, die Uhr, die er von seinem Vater bekommen hatte; die Lehrer, die ihm üble Spitznamen an den Kopf warfen und ihn auf die Ohren boxten; die Mitschüler, die nichts mit ihm zu tun haben wollten. Blitzartig erinnerte er sich an den Hohn und Spott, der ihm auf Schritt und Tritt folgte.
»Max?«
Er spürte Daynas Finger, die ihm eine Träne von der Wange wischten.
»Was ist denn? Sag doch.«
»Ich hab’s einfach nur satt. Du weißt doch, wie das ist.« Er kippte den Rest Ale hinunter, doch selbst das konnte den Geschmack nach Pisse nicht aus seinem Mund vertreiben.
Sonntag, 26. April 2009
D CI Masters hielt es für eine Magenverstimmung, dieses Brennen, das sich in seinem Bauch ausbreitete, als Carrie und Leah fort waren. Max’ Vater und seine Assistentin waren schon vorher gegangen und hatten es ihm und Marsh überlassen, die beiden Frauen zu beschwichtigen. Mit einem Schlag hatte sich seine berufliche Beziehung zu Carrie Kent in ein Verhältnis zwischen Polizist und Opfer verwandelt, was für sich genommen schon höchst unangenehm war. Doch in diesem Fall war es besonders schlimm. Der getötete Junge war der Sohn einer Prominenten, mit der sein Dezernat zudem eng zusammenarbeitete. Carries Sendung, die wenigstens einmal im Monat den Belangen der Polizei gewidmet war, sowie die vierteljährliche Sondersendung, bei der es um die Aufklärung ungelöster Kriminalfälle ging, waren, was Hinweise und Verhaftungen betraf, von unschätzbarem Wert. Darüber hinaus musste sich Dennis eingestehen, dass er es genossen hatte, im Rampenlicht zu stehen. Und es war völlig unklar, wie sich die Zusammenarbeit in Zukunft gestalten würde.
»Schreckliche Geschichte«, bemerkte Alan Marsh, nachdem Leah Carrie, die nur noch ein Häufchen Elend war, hinausgeführt
Weitere Kostenlose Bücher