Der fremde Sohn (German Edition)
hatte.
Masters schaute den Detective an und entgegnete schroff: »Es ist eine Katastrophe für den gesamten Bezirk. Wir brauchen unbedingt eine Festnahme.« Er fasste sich an die Brust. Doch keine Magenverstimmung, dachte er, während er in sein Büro ging, um seine Schlüssel zu holen. Eher so etwas wie große Besorgnis und Mitgefühl.
»Ich muss noch einmal mit Ihrer Tochter sprechen, Mrs Ray.« Mit einer routinierten Bewegung hielt er ihr seinen Dienstausweis hin, doch die Frau beachtete ihn gar nicht.
»Hat sie Ihnen denn noch nicht genug erzählt?« Damit riss sie die Tür weit auf, was Dennis als Aufforderung betrachtete. »Day-na!«, brüllte sie. »Die Polizei ist wieder da!« Sie deutete ins Wohnzimmer, wo ein Mann ausgestreckt auf dem Sofa lag. Ein Hund hatte es sich auf seinen Beinen bequem gemacht. Sonst gab es in dem Zimmer keine Sitzgelegenheit, doch noch ehe Dennis etwas sagen konnte, stand das Mädchen schon hinter ihm.
»Hallo.« Sie klang fast, als freue sie sich, ihn zu sehen.
»Dayna«, begrüßte er sie mit einem Kopfnicken und einem herzlichen Lächeln. »Ich würde gern noch mal mit dir sprechen, wenn es dir recht ist.« Er warf einen Blick auf den reglos daliegenden Mann. »Wie wäre es mit einem Spaziergang?«
»Okay«, erwiderte sie achselzuckend.
Während Dennis zusah, wie sie sich in eine zu enge Jacke zwängte, fragte er sich, ob ihr schwarzer Lidstrich wohl eintätowiert war. Er beobachtete, wie sie freundlich, aber bestimmt ihre kleine Schwester abwehrte, die mitkommen wollte. »Die Erwachsenen müssen sich unterhalten, Lorrell«, sagte sie und strich dem Kind über das Haar.
Als sie nebeneinander in östlicher Richtung durch die Siedlung gingen, erkannte Dennis, wie Schmerz und Trauer sich in ihre Züge eingegraben hatten. Mit ihrem strengen schwarzen Make-up um die Augen wirkte sie härter, als sie wohl in Wirklichkeit war. In ihrem schwarz gefärbten Haar, das ihr, bis auf die kurzen Stoppeln am Oberkopf, in langen, fransigen Strähnen bis auf die Schultern hing, leuchteten orangefarbene Strähnen. Ihre Fingernägel waren kurz und ungepflegt, die Fingerspitzen nikotingelb.
»Willst du eine?«, fragte Dennis und zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche. Er selbst rauchte nicht, im Gegensatz zu den meisten Leuten, mit denen er es zu tun hatte.
»Danke.«
Dennis gab ihr Feuer. »Ich weiß, dass du nicht gern darüber sprichst, aber wir müssen so viel wie möglich erfahren, solange deine Erinnerungen noch frisch sind.«
»Hm.« Dayna nickte. Eine Hand tief in der Jackentasche vergraben, zog sie an ihrer Zigarette und sah dabei zu Dennis auf.
»Du bist unsere einzige Zeugin, wir brauchen deine Hilfe. Damit kannst du Max einen letzten Dienst erweisen.« Das Mädchen dachte mit zusammengekniffenen Augen über seine Worte nach, dann schniefte sie.
»Ja, okay. Was wollen Sie wissen?«
»Fang einfach mit dem Zeitpunkt an, bevor du Max am Freitag getroffen hast.«
»Ich hab mir Pommes geholt.« Sie unterbrach sich, als fürchtete sie, ausgeschimpft zu werden. »Ich hab blaugemacht. Ich hasse Physik, wegen dieser Mädchen in meinem Kurs.«
»Wo hast du die Pommes gekauft?« Sie gingen langsam nebeneinanderher.
»An der Bude bei der Schule. Da gehen alle hin.«
»Und nachdem du die Pommes geholt hast?«
»Dann bin ich zurück zur Schule gegangen. Ich wollte auf dem Mäuerchen meine Pommes essen und auf Max warten. Er konnte Physik auch nicht ausstehen.«
Dennis war froh, dass sich Dayna offensichtlich entschlossen hatte zu reden. Ein Zeitraum von vierundzwanzig Stunden konnte manchmal viel verändern. »Du hast dich also auf das Mäuerchen gesetzt.«
»Ja. Da sitzen immer welche und rauchen. Keiner stört sich dran.«
»Wie lange musstest du auf Max warten?«
Dayna überlegte. »Vielleicht zehn Minuten oder so. Ich hatte noch nicht aufgegessen.«
»Hat er sich zu dir gesetzt?« Dennis sah zu, wie das Mädchen die Kippe austrat. Er würde ihm nicht gleich eine neue Zigarette anbieten, sondern es ein wenig warten lassen.
»Ja.«
»Was machte er für einen Eindruck? Wirkte er bedrückt? Ich habe mir sagen lassen, er war ein bisschen … na ja, anders.«
Dayna lachte ungläubig auf. »Ein bisschen was? «
Schweigend gingen sie einige Minuten lang weiter. Dennis ärgerte sich, weil er mit seiner Bemerkung offensichtlich einen wunden Punkt berührt hatte.
»Ihr kapiert es einfach nicht, was?«, sagte Dayna schließlich.
»Was denn?«
»Wie das läuft. Das mit den
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