Der fremde Sohn (German Edition)
Banden und so. Wie es ist, wenn man anders ist.«
»Darüber kannst du mich ja irgendwann aufklären. Jetzt möchte ich nur erfahren, was am Freitag passiert ist. Du hast also auf der Mauer gesessen und deine Pommes gegessen. Und dann?«
Dayna stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie überlegte lange, dann schluckte sie und sagte: »Dann waren sie auf einmal da. Wie aus dem Nichts aufgetaucht.«
»Wer war da?« Dennis beabsichtigte, sie nach diesem Gespräch mit aufs Kommissariat zu nehmen. Dort würde sie nie so frei reden, doch wenn die Wahrheit erst einmal heraus war, wäre es leichter, sie zu einer offiziellen Aussage zu bewegen.
»Die Bande. Acht oder zehn Jungs. Sie sind ganz plötzlich über Max hergefallen.« Dayna starrte beim Sprechen zu Boden, als müsse sie sich auf ihre Schritte konzentrieren.
»Da hattest du bestimmt Angst.« Dennis dachte an die Aufnahmen der Überwachungskameras. Es waren nur fünf Jugendliche gewesen.
»Ja.«
»Was haben sie gesagt und getan?«
Plötzlich wirkte Dayna verschlossen. »Weiß nicht. Die haben irgendwelche dummen Bemerkungen gemacht.«
»Worüber?«
Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm. »Verdammt noch mal, er ist erst seit Freitag tot. Ich hab noch nicht mal richtig geweint.« Sie gestikulierte heftig, sichtlich außer Fassung.
»Hier.« Dennis gab ihr noch eine Zigarette. Dann setzten sie sich wieder in Bewegung.
»Es ging immer um den gleichen Scheiß. Sie wollten Geld von ihm oder sein Handy. Sie haben uns bedroht.«
»Hat Max ihnen etwas gegeben?«
Nach kurzem Zögern erwiderte Dayna: »Nein, diesmal nicht. Deswegen …« Sie schluchzte auf und zog an ihrer Zigarette. »Deswegen ist es ja passiert. Es heißt doch immer, man soll alles rausrücken, nicht?«
Dennis nickte. »Max wollte ihnen also sein Handy nicht geben.« Er versuchte, sich die Situation vorzustellen. »Und ihr beide habt noch immer auf dem Mäuerchen gesessen?«
»Himmel, nein«, antwortete sie. »Sie haben mir die Pommes aus der Hand geschlagen und mich von der Mauer gezerrt. Dabei habe ich mir die Beine aufgeschürft.«
Dennis konnte sich an den Tatort und das Mäuerchen dort erinnern. Es war wenigstens drei Meter von der Stelle entfernt, an der Max erstochen worden war. Neben der Leiche hatten ein paar blutbespritzte Pommes frites gelegen.
»Sie haben euch beide runtergezerrt?«
»Ja, ein paar von ihnen.« Nach kurzem Nachdenken fügte Dayna hinzu: »Max an den Armen und mich an den Haaren«. Sie nickte heftig.
Er warf einen flüchtigen Blick auf Daynas Kopf, konnte jedoch keine Verletzungen erkennen. Er würde später im Obduktionsbericht nachlesen, ob der Junge blaue Flecken an den Armen gehabt hatte.
»Dann haben sie uns eingekreist. Einer hat mich am Hintern betatscht. Ich habe vor Angst gezittert.«
»Das muss schrecklich gewesen sein.« Keine Fragen mehr. Einfach reden lassen.
»Plötzlich war da ein Messer. Sie sagten, sie hätten gehört, dass Max auf Streit aus wäre, und jetzt würden sie es uns zeigen. Es war so ein Butterfly-Messer. Plötzlich war es da, wie von Zauberhand.« Sie zog zweimal heftig an ihrer Zigarette, dann blieb sie abermals stehen. »Ich hätte nie gedacht, dass sie wirklich zustechen. Sonst haben sie ja auch nur damit rumgefuchtelt.«
»Du kanntest sie also?« Dennis unterbrach sie nur ungern, doch die Frage war unumgänglich. »Haben sie euch schon früher bedroht?«
»Ja«, erwiderte Dayna achselzuckend. »Aber ihre Namen weiß ich nicht.«
»Waren sie von eurer Schule?«
»Vielleicht, ich weiß nicht. Ich glaub sowieso nicht, dass die oft zur Schule gehen.«
»Aber du würdest sie wiedererkennen, ja?«
Dayna zuckte erneut mit den Schultern und sah ihn gequält an. »Sie hatten alle die Kapuzen auf, ganz tief ins Gesicht gezogen.«
Dennis nickte. Das war auch auf den Kameraaufnahmen zu erkennen gewesen.
»Erinnerst du dich an ihre Kleidung?«
»Ganz normale Klamotten. Jogginghosen, leuchtend weiße Turnschuhe, Kapuzenjacken. Einer hatte Streifen auf dem Ärmel, glaub ich.«
Wieder dachte Dennis an die Kameraaufzeichnungen. Er nahm sich vor, ihr im Kommissariat ein paar Fotos zu zeigen. Ihm stand ein langer Abend bevor, doch eines wusste er sicher: Dayna Ray würde nicht nach Hause gehen, ohne vorher eine Aussage zu machen und ihm eine verdammt gute Beschreibung desjenigen zu geben, der Max erstochen hatte.
Sie fror erbärmlich, obwohl es gar nicht so kalt war. Ihre Mutter tobte, weil sie Lorrell nicht bei Dayna lassen konnte,
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