Der fremde Sohn (German Edition)
ersten Besuch dort war die Glühbirne durchgebrannt, darum brachten sie beim nächsten Mal ein paar Kerzen mit. Der Kellerraum hatte keine Fenster, aber das gefiel Max, und er glaubte, dass Dayna es auch mochte.
»Weiß nicht«, erwiderte Max achselzuckend. Jetzt war es ihm peinlich. Zu gern hätte er ihr gesagt, dass er sie liebte, aber diesmal durften ihm die Worte nicht im Hals stecken bleiben. »Es hat mich einfach gewurmt, dass Shane den Arm um dich gelegt hat.«
Dayna lachte. »Du hast gesagt, ich wäre deine Freundin.«
»Hab ich das?«, erwiderte er viel zu hastig. Sein Magen krampfte sich zusammen, doch er setzte hinzu: »Vielleicht stimmt es ja.«
»Das wäre schön. Wir sind jetzt schon so lange befreundet, Max. Wir verstehen uns einfach. Und wir haben uns geküsst.«
»Ich würde dich gern noch mal küssen.« Max konnte nicht glauben, dass er das tatsächlich aussprach. Woher kam dieser plötzliche Mut? Lag es daran, dass er in der Englischstunde Shane die Stirn geboten und sich über Mr Lockhart hinweggesetzt hatte? Musste man grob und unhöflich zu anderen sein und auf ihren Gefühlen herumtrampeln, damit sie an Selbstbewusstsein verloren und man selbst umso mehr davon bekam? Wenn es wirklich so war, könnte das erklären, warum alle auf ihm herumhackten. Er packte die Kräcker aus und bot Dayna einen an.
»Niemand auf der ganzen Welt ist so wie du, Max«, sagte sie lachend und biss in den mit Lachs belegten Kräcker.
Max strahlte. Sie zu sehen und ihre Stimme zu hören machte sein Leben lebenswert. Es war ein kleines Wunder.
Eigentlich war es gar kein richtiger Kuss, sondern nur eine zaghafte Annäherung. Als sie nicht darauf einging, zog er sich sofort zurück. Sie trank ihre Cola und knetete ihre Finger. Bald würde es zur nächsten Stunde klingeln. In einem neuerlichen Versuch legte er die Hand auf ihr abgewinkeltes Bein, das sie unter das andere gezogen hatte. Sie saßen auf Abdecktüchern, die sie in einer Ecke gefunden hatten. Wie ein Bett, hatte Max gedacht, als sie die Tücher auf dem Boden ausbreiteten.
Er ließ die Finger zu ihrem Knie hinunterwandern. Die Muskeln an ihrem dünnen Bein waren angespannt. Selbst durch die dicke Strumpfhose und den grauen Rock der Schuluniform hindurch erregte ihn die Berührung ihres Körpers, und er stellte sich vor, wie ihre nackten, blassen Glieder sich warm an ihn schmiegten.
Er schüttelte den Kopf, als fürchtete er, sie könnte seine Gedanken lesen.
»Ich hasse diese Uniform«, sagte Dayna.
War das eine Einladung, sie ihr auszuziehen?, fragte sich Max. Doch das hätte er nie gewagt, nicht in einer Million Jahren. Noch immer waren ihre Lippen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Er brauchte sich nur ein wenig vorzubeugen, die Augen zu schließen und …
»Küss mich«, forderte sie.
Max zuckte zurück und riss die Augen auf.
»Dummkopf, ich rede nicht von Sex, nur von einem Kuss.«
Zitternd beugte sich Max wieder zu ihr. Sie hatte die Augen geschlossen und wartete. Beim Näherkommen roch er das Pfefferminzbonbon, das sie gerade gegessen hatte. Auf ihren Wangen waren ein paar Sommersprossen, ganz schwach, wie hingetupft. Zu gern hätte er jede einzelne mit den Lippen berührt bis hinunter zu ihrem Hals, wo die Sommersprossen im Kragen ihrer Bluse verschwanden.
»Was machst du denn?« Abrupt öffnete Dayna die Augen.
Wieder durchfuhr Max ein Ruck. Was hatte er denn wirklich getan?
»Entschuldige«, krächzte er. Mit einem Schlag hasste er sich wieder einmal selbst. »Es ist nur …«
Dayna brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihre Lippen fest auf seinen Mund presste. Es war anders diesmal – keine Schüchternheit, kein zögerliches Hin und Her. Jetzt wusste er, was er zu tun hatte, denn Dayna hatte es ihm vorgemacht. Es bestand kein Zweifel, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie. Wochen-, ja monatelang waren sie umeinander herumgeschlichen, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt gewesen waren, jeden einzelnen Schultag durchzustehen, ohne schikaniert zu werden. Außerdem hatte sich Max nicht getraut, die Dinge voranzutreiben. Und jetzt das – es war grandios!
Daynas Zunge schob sich zwischen seine Lippen. Himmel, solche Gefühle hatte er noch nie gehabt. Sie war einfach wunderbar. Ohne zu wissen, wie es eigentlich zugegangen war, spürte Max auf einmal ihre Schultern unter seinen Händen – er hielt sie, berührte sie. Selbst nach ihren zaghaften, verlegenen Küssen im letzten Jahr hätte er sich das in seinen
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