Der fremde Sohn (German Edition)
auf Brody. Er sah furchtbar aus, und doch schien es ihr, als sei er gekommen, um sie zu retten. Vielleicht würde sie ihn einfach nicht mehr gehen lassen. Wenn sie ihn hier auf Charlbury festhielt, würde vielleicht wie von Zauberhand der kleine Max wieder auftauchen, und sie könnten alle noch einmal von vorn anfangen und es diesmal richtig machen.
»Komm rein«, sagte sie und trat beiseite. Nach kurzem Zögern streckte Brody die Hand nach der Tür aus und tastete mit dem Fuß nach einer Stufe. »Entschuldige«, sagte sie und nahm seine Hand. Seine Haut fühlte sich kühl an, nicht so wie früher. Damals hatte Brody immer Wärme ausgestrahlt, wie ein Ofen, an den sie sich zur Winterzeit anlehnen konnte.
»Danke.«
Carrie registrierte, dass sich Brody widerstandslos von ihr führen ließ.
»Du hast Hunde«, stellte er fest.
»Kannst du sie riechen?«
»Nein, ich höre ihre Krallen auf den Fliesen«, erwiderte er mit einem kleinen Lachen. Sie fragte sich, wie er überhaupt zu so etwas wie Heiterkeit imstande war.
»Ich sollte ein Feuer machen«, sagte Carrie, der plötzlich bewusst wurde, wie kalt es im Haus war. Bis eben hatte sie die unbehagliche Kühle beinahe genossen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so was selbst machst«, bemerkte Brody, als Carrie ihn zu dem großen weinroten Sofa führte und er sich niederließ. »Jemand wie du hat doch bestimmt seine Diener dafür.«
Carrie gab es einen Stich. »Es sind keine Diener«, sagte sie und verdrehte die Augen. Mit mühsam unterdrücktem Ärger fügte sie hinzu: »Außerdem bin ich durchaus in der Lage, Feuer zu machen.« Sie funkelte ihren Exmann an, der versuchte, es sich auf dem übergroßen Sofa bequem zu machen. Das Möbelstück war genau das Richtige, um sich an einem gemütlichen Abend darauf zu lümmeln, doch um darauf zu sitzen und über den toten Max zu sprechen, dazu war es eher ungeeignet. Schließlich blieb Brody auf der vordersten Kante sitzen und stützte die Ellenbogen auf die Knie.
»Es ist noch jede Menge Feuerholz da«, sagte Carrie und warf ein Häufchen Reisig auf den Feueranzünder. Das kleine Flämmchen wurde rasch größer, und Carrie schichtete sorgsam einige trockene Holzscheite auf. Binnen weniger Minuten strahlte der Kamin Wärme ab. Doch ihre Herzen konnte nichts mehr erwärmen, dachte Carrie.
»Du wolltest, dass ich herkomme.« Brodys Worte wurden vom Knacken der brennenden Scheite untermalt.
Carrie wurde bewusst, dass sie wohl geklungen hatte wie eine Hilfesuchende. Ein ungewohnter Gedanke, der ihr nicht behagte. »Ich fand, wir sollten uns treffen. Wir haben einiges zu besprechen.«
Brody nickte knapp, und Carrie bemerkte, wie er schluckte. Es gab so vieles zu sagen, doch sie bezweifelte, dass überhaupt irgendetwas davon zur Sprache kommen würde.
»Glaubst du, sie finden den Täter?« Carrie setzte sich mit gekreuzten Fußknöcheln auf das zweite Sofa auf der anderen Seite des niedrigen Tisches.
»Was würde das bringen?«
»Gerechtigkeit für Max. Jemand soll für die Tat bezahlen. Jemand muss dafür ins Gefängnis.«
Trotz der Kühle überlief es Carrie plötzlich siedend heiß, als Brody ihr einen Blick zuwarf, der ihr das Gefühl gab, als könne er alles ganz deutlich sehen. »Wir sind schon drin«, sagte er.
Februar 2009
W eil … weil …« Sie wusste genau, was sie sagen wollte, doch sie fand nicht die richtigen Worte. Sie spürte Max’ Blicke im Rücken. Obwohl sie darum gebeten hatte, sich woanders hinsetzen zu dürfen, abseits von den Jungs, fühlte sie die Spannung zwischen sich und Max. Den ganzen Morgen über hatten sie noch kein Wort gewechselt. Sie fragte sich schon, ob Max ihr in den vergangenen Tagen aus dem Weg gegangen war. So war er doch sonst nicht. Seit sie in dem Keller miteinander geschlafen hatten, war er ihr gegenüber besonders liebevoll und aufmerksam gewesen, so, als seien sie jetzt wirklich ein Paar. Und auf einmal sprach er nicht mehr mit ihr. Sie konnte es sich nicht erklären.
»Weil sie verliebt waren und niemand sie verstanden hat.« Dayna wurde rot, auch wenn keiner in der Klasse zuhörte oder ihr irgendwelche Beachtung schenkte.
»Glaubst du das wirklich, Dayna? Dass die beiden sich in so kurzer Zeit verlieben konnten? Oder war es eher die Reaktion darauf, dass ihre Familien in Fehde lagen und sie sich eigentlich nicht verlieben durften? So als rebellische Teenager …« Mr Lockhart wartete auf einen Lacher, doch keiner von den Schülern hatte aufgepasst.
»Ja, kann
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