Der fremde Sohn (German Edition)
Wollten wohl lange Finger machen, wie?«
»Nein, natürlich nicht!« Sie zerrte die Angelschnüre von ihrem Arm und fügte hinzu: »Sie dürften gar nicht mehr hier sein. Ich habe die Hütte ab heute gemietet.«
Wieder lachte der Mann. »Das glaube ich kaum. Die Hütte gehört mir.«
»Dann sollten Sie eigentlich wissen, dass ich Hütte Nummer sechs für fünf Nächte gebucht habe.« Endlich hatte Carrie sich losgerissen.
»Ach, tatsächlich?«
»Ja. Ich habe gerade nach dem Schlüssel gesucht, als Ihr blödes Zeug auf mich fiel.«
»Und wo sollte der Schlüssel sein?« Ziemlich provokant, wie es Carrie schien, lehnte sich der Mann an die Wand der Hütte. Als er grinste, bemerkte sie seine auffallend weißen Zähne.
»Unter dem Blumentopf.«
Er schaute sich beiläufig um. »Ich sehe keine Blumentöpfe.«
»Eben. Ich habe wohl per E-Mail falsche Informationen bekommen. Kann ich mich drinnen mal umschauen? Ich bezahle nur, wenn es mir gefällt.« Schon drängte sich Carrie das Bild von einer Übernachtung im Jeep auf. In diesem Moment schien ihr das nicht einmal die schlechteste Möglichkeit zu sein. Ihr Plan, allen Menschen zu entfliehen, war ohnehin bereits gescheitert. Gab es denn in diesem Land keinen Winkel, wo man sich verstecken konnte?
»Sicher«, antwortete er, wandte sich um und ging voraus.
Im Licht, das aus der Hütte drang, sah Carrie, dass das Blockhaus von dichtem Wald umgeben war, der bis ans Wasser heranreichte. Der Ort gefiel ihr. Sobald sie diesen Mann los war, wollte sie sich für ein nächtliches Bad zum See schleichen. Das würde sie für den schlechten Start entschädigen.
»Willkommen«, sagte er und hielt ihr die Tür auf.
Carrie trat ein. Es sah überhaupt nicht so aus wie auf der Website. Statt der schlichten weißen Einrichtung auf den Bildern fand sich hier ein Sammelsurium schwerer, dunkler Möbelstücke, alter Webteppiche und diverser Sportgeräte – von Taucheranzügen und Segeln über Wanderstiefel bis hin zu einem Fahrrad, das neben der Tür lehnte.
»Ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor«, sagte Carrie. Allerdings nicht ihrer. Hütte Nummer sechs, Kinlochburn Hall. Die Hinweisschilder zum Landgut am nordöstlichen Ufer des Sees waren unmissverständlich gewesen.
»Das scheint mir auch so. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Er griff über den Küchentresen und förderte eine Flasche Single Malt zutage.
»Hier ist etwas völlig schiefgelaufen. Ich möchte einfach, dass Sie gehen.« Enttäuscht blickte sich Carrie in der Hütte um. Sie war ja ganz nett, aber nicht das, was sie erwartet hatte. Und außerdem war sie hier nicht allein . Sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen, und verabscheute sich zugleich selbst dafür. Gab es denn keine Möglichkeit, ihrem Promi-Dasein wenigstens für eine kurze Zeit den Rücken zu kehren?
Achselzuckend schenkte der Mann den Whisky ein. »Unmöglich.«
»Wieso denn, um Himmels willen? Ist das hier sowas wie ›Versteckte Kamera‹?« Fast rechnete sie damit, dass ein Kamerateam auftauchte oder dieser schreckliche Kerl einen Kassettenrekorder hervorholte. Warum hatte sie die Buchung nur nicht ihrer Sekretärin überlassen?
»Nein, wohl eher nicht.« Er ließ sich auf ein großes, mit Fellen bedecktes Ledersofa fallen, streckte einen Arm auf der Lehne aus und trank seinen Whisky. Und schaute sie an.
»Und was soll ich jetzt machen?« Carries Stimme zitterte. Normalerweise hörten die Leute auf das, was sie sagte.
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, wenn ich Sie wäre, würde ich mich entschuldigen, ohne weitere Umstände gehen und das Stückchen Weg bis zur Hütte Nummer sechs zurückfahren.« Grinsend trank er den letzten Schluck Whisky.
»Das hier ist nicht sechs?«
»Nein.« Er erhob sich, noch immer lächelnd, ging an Carrie vorbei zur Kochnische und stellte sein Glas in die Spüle. »Das Schild ist ein bisschen verwittert. Das hier ist Nummer acht.«
»Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?« Wenn er es erfuhr, würde ihm sein unhöfliches Verhalten leidtun.
»Sollte ich?« Da stand er nun in voller Lebensgröße vor ihr, mit seiner sonnengebräunten Haut und dem schwerfälligen schottischen Akzent, den Carrie nur mit Mühe verstand. Kein Wunder, dass sie aneinander vorbeigeredet hatten.
»Himmel, ich bin Carrie Kent, und Sie haben mir den Anfang meines Kurzurlaubs verdorben.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Carrie Kent. Ich bin Jason McBride.« Er streckte die Hand aus. »Mir gehört das
Weitere Kostenlose Bücher