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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Die Nachricht seines hochbegabten Schützlings Ricky McBride musste er mehrmals abspielen, ehe er begriff, was die monotone, emotionslose Computerstimme ihm da mitteilte.
    Ich steige aus, Herr Professor. Ich weiß, dass Sie mich dafür hassen werden, aber ich kann einfach nicht mehr. Was bringt es mir denn, wenn ich all diese verrückten Sachen mit Zahlen anstellen kann? Damit kann ich meine Rechnungen nicht bezahlen. Außerdem habe ich es satt, immer der Außenseiter zu sein. Sorry, Ricky .
    Brody klappte den Laptop zu. Dann saß er da, lauschte dem Tropfen des Wasserhahns in der Küche und dachte nach. An diesem Nachmittag war es in der Siedlung ungewöhnlich still, als nähmen die Bewohner Rücksicht auf sein Bedürfnis nach Ruhe und Frieden. Die vergangene Woche hatte ihm ein Wechselbad der Gefühle beschert, wie man es sich extremer nicht vorstellen konnte. Und nun war er müde, so abgrundtief müde. Er fühlte sich ganz krank vor Müdigkeit, als ob sein Immunsystem versagte.
    »Ricky schmeißt also alles hin«, sagte er vor sich hin und nickte. Er musste sich eingestehen, dass er beinahe damit gerechnet hatte. Der Junge hatte sich mit seinem außergewöhnlichen Talent bereits einen Namen gemacht, und wenn es ihm wirklich darum ging, seine Rechnungen zu bezahlen, dann war es ein gewaltiger Fehler von ihm, die Uni zu verlassen. Sobald er seinen Abschluss gemacht hätte, würden Organisationen aus aller Welt bei ihm Schlange stehen und mit ihrem Scheckbuch winken. Für Brody selbst war es zweifellos ein großer Verlust. Doch er hatte keine Kraft, dies zu bedauern, wie er es unter normalen Umständen getan hätte. Dafür war er viel zu sehr mit seiner privaten Misere beschäftigt.
    Ricky war aufgrund seiner Begabung ein Außenseiter, und genau das wollte er offenbar nun ändern. Wieder nickte Brody. Er konnte es verstehen. Ricky war vermutlich schon sein Leben lang anders gewesen – genau wie Max, schoss es Brody durch den Kopf. Doch Max hatte keine Chance mehr, seinem Leben eine andere Richtung zu geben.

Freitag, 1. Mai 2009

    Z um ersten Mal seit einer Woche hatte Carrie mehr als zwei Stunden geschlafen. Nach ihrer Schätzung mussten es sogar wenigstens vier Stunden ungestörter Ruhe gewesen sein. Sie hatte die widerstrebende Leah nach Hause geschickt, dafür war Martha in die Personalwohnung eingezogen und umsorgte Carrie nun, als sei diese todkrank. Und so fühlte Carrie sich auch: als sei sie unversehens am Ende. Dennoch musste sie weiterleben und die grausame Wirklichkeit aushalten. Es wäre besser, auch tot zu sein, hatte sie im Laufe der letzten Woche jeden Tag tausendmal gedacht und sich vor dem Einschlafen immer wieder gewünscht, nie mehr aufwachen zu müssen.
    »Sie sind wirklich ein Engel, Martha.« Sie betrachtete das hübsch angerichtete Rührei mit Streifen von schottischem Räucherlachs, das auf dem Tisch stand. Es tat gut, sich wenigstens für einen flüchtigen Augenblick erfreulichen Dingen zuzuwenden.
    »Das frühstücken Sie doch jeden Freitag, meine Liebe.«
    Carrie setzte sich an den Tisch. Neben dem Kaffeebecher standen ein Schälchen mit frischem Obst und eine Karaffe mit Fruchtsaft. Carrie war überzeugt, dass kein Freitag mehr sein würde wie früher.
    Sie aß ein wenig und trank den Kaffee, und sofort wurde ihr ein wenig wärmer. Es war erst halb sieben, aber an einem normalen Freitagmorgen wäre sie schon jetzt in Panik geraten, weil sie noch nichts für die Show vorbereitet hatte. Sie hätte Leah am Telefon angeschrien und die Rechercheure gnadenlos angetrieben. Heute jedoch saß Carrie ruhig da, obwohl sie keine Ahnung hatte, was nachher in der Sendung passieren würde, trank gelassen ihren Kaffee und beobachtete durchs Fenster einen Spatz, der in ihrem spärlich bepflanzten Garten herumhüpfte. Er wirkte enttäuscht von all dem Schiefer, Granit und Marmor um ihn herum, und der Bambus schien ihm ebenso wenig zuzusagen wie die ausgewählten japanischen Pflanzen, von denen der Landschaftsarchitekt behauptet hatte, sie seien das Einzige, was in einen modernen Stadtgarten passe.
    »Ist noch ein Kanten Brot da, Martha?« Carrie blickte sich suchend um.
    Martha, die vor der Spüle stand, drehte sich um. »Brot? Haben Sie denn noch Hunger?«
    »Nein, aber der Vogel.« Sie deutete nach draußen.
    Wortlos hob Martha den Deckel von einem weißen Keramiktopf, nahm einen Laib Vollkornbrot heraus und schnitt eine Scheibe ab. »Reicht das, meine Liebe?«
    Carrie nickte und schob leise die

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