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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Glastür auf. Jetzt waren schon zwei Spatzen da. Der eine flog weg, als sich die Tür bewegte, der andere jedoch saß wie angewurzelt und starrte geradeaus. Dennoch bekam er alles mit, was sie tat. Carrie brach ein paar Bröckchen von dem Brot ab und warf sie nach draußen. Der Spatz rührte sich nicht. Wie kann er nur so reglos dasitzen?, fragte sie sich und beneidete den Vogel – wenn sie das auch könnte, würde sie vollkommen erstarren und sich nie wieder bewegen.
    Jetzt hüpfte der Spatz zu einer der Brotkrumen. Carrie zerbröselte die restliche Brotscheibe und streute sie dem Vogel hin. Wieder hockte das Tier reglos da. Als Carrie einen Schritt nach draußen tat, hüpfte der Spatz ein Stück rückwärts, dann flog er auf und ließ sich auf einer Alabasterkugel nieder. Carrie und der Vogel blickten einander an.
    »Ist gut, Spatz«, flüsterte sie. Der Vogel zuckte mit den Schwanzfedern. »Ich tu dir nichts, auch wenn du das nicht wissen kannst.« Carrie ging um die ausgestreuten Brotkrumen herum und lehnte sich an die Hauswand. Sie gab sich alle Mühe, sich unsichtbar zu machen, damit der Vogel sich endlich sein ersehntes Futter holte.
    Als der Spatz stattdessen erneut aufflog und sich oben auf die Mauer setzte, sammelte Carrie das Brot auf und warf es in den Garten. Dort könnte der Vogel in aller Ruhe fressen, sie würde ihn nicht weiter stören. Dennoch konnte sie ihre Enttäuschung nicht verhehlen.
    Sie ging wieder ins Haus und zog die Glastür mit einer heftigen Bewegung zu. Als sie wieder am Tisch saß und ihren Kaffee weitertrank, musste sie unwillkürlich an die Show denken. Sie hoffte inständig, dass Dayna wirklich wie versprochen im Studio erscheinen würde. Ebenso sehr hoffte sie, dass das Mädchen in der Sendung auch redete. Carrie wollte den Ablauf nicht strikt durchplanen, sondern abwarten, wie sich die Situation entwickelte. Dann würde es für die Zuschauer noch echter wirken, redete sie sich ein. In Wahrheit hatte sie einfach nicht die nötige Energie aufgebracht, die Show vorzubereiten. Sie wollte ihren Zuschauern die außergewöhnlichen Umstände erklären, dabei selbst so ruhig wie möglich bleiben und dem Mädchen Gelegenheit geben, die Ereignisse jenes Tages in allen Einzelheiten zu schildern. Und irgendjemand würde daraufhin bestimmt bei der Polizei-Hotline anrufen. Das geschah eigentlich immer, und oft waren es ganz banale Äußerungen von Zuschauern, die der Polizei halfen, einen Täter zu fassen.
    Draußen im Garten flog der Spatz von der Mauer herunter und begann, die Brotkrümel aufzupicken. Bald tat sich ein halbes Dutzend Vögel an dem Futter gütlich.
    »Ich brauchte ihnen nur zu zeigen, dass es da ist«, sagte Carrie.
    »Was sagten Sie, meine Liebe?«
    »Max«, erwiderte Carrie nachdenklich, ohne die Vögel aus den Augen zu lassen. »Ich hätte ihm nur zu zeigen brauchen, dass ich da bin.« Carrie stand auf und holte ihren Schlüssel und die Tasche. Danach zog sie ihre Jacke an und trat vor den Spiegel in der Halle. Eine Fremde blickte ihr entgegen. »Aber ich habe es nicht getan«, fügte sie leise hinzu, dann drehte sie sich um und eilte zu ihrem Auto.
    »Wenn du mich fragst: Sie sollten uns schon etwas dafür bezahlen.« Daynas Mutter stand an die Spüle gelehnt und schob sich eine Gabel voll Schinkenspeck in den Mund.
    »Dich fragt aber keiner.« Kev wischte mit einem Stück Weißbrot das Eigelb von seinem Teller. Er war noch nicht angezogen, denn er hatte nicht die Absicht, seine Stieftochter ins Fernsehstudio zu begleiten. »Wollen alles umsonst, diese Typen. Ich weiß gar nicht, wieso ihr euch überhaupt die Mühe macht.«
    »Weil sie unbedingt diesem Jungen helfen will, darum.«
    Es war das erste verständnisvolle Wort, das sie seit langem von ihrer Mutter hörte. Dayna starrte in ihre Müslischale. Sie brachte keinen Bissen hinunter. Wenn sie jetzt etwas aß, würde sie sich vor laufender Kamera übergeben. »Ja. Ja, das will ich«, flüsterte sie so leise, dass nur Lorrell es hören konnte.
    »Das ist mein Baby, Mummy«, sagte die Kleine und hielt ihre Plastikpuppe hoch, aber niemand beachtete sie. Ihre Mutter und Kev diskutierten noch immer darüber, ob Dayna für ihren Auftritt bei Reality Check Geld bekommen würde.
    Dayna sah ihre kleine Schwester stirnrunzelnd an und legte den Finger an die Lippen.
    »Psst«, zischte das kleine Mädchen als Antwort.
    »Geld ist ja auch nicht alles, Kev. Siehst du denn nicht, wie durcheinander unsere Dayna in den letzten Tagen

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