Der fremde Sohn (German Edition)
hier«, flüsterte sie, nahm das warme Händchen ihrer Schwester und legte es auf ihren Bauch.
»Warum?«, fragte Lorrell und machte ein finsteres Gesicht, als ihr halbfertiger Turm einstürzte.
»Da ist ein Baby drin«, hauchte Dayna. Sie musste es irgendjemandem erzählen. Vielleicht half ihr das ja. »Psst.« Sie legte den Finger an die Lippen. »Unser Geheimnis, ja?«
Lorrell sah sie mit großen Augen an. »Ein richtiges Baby?«, fragte sie.
Dayna nickte.
»Wo ist das her?«
»Es ist ein Geschenk von Max«, antwortete sie und konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. Sie wusste, es war ein Junge.
»Warum?«, fragte Lorrell und widmete sich wieder ihrem Spiel. Konzentriert die Stirn runzelnd, drückte sie die Bausteine aufeinander.
»Weil wir uns liebhaben«, erwiderte Dayna.
Kurz darauf schickte sie Max ihre Antwort: Mach ich .
Mehr gab es nicht zu sagen.
Max’ Handy summte, doch er sah nicht hin. Er hätte sowieso nichts lesen können nach der Menge Wodka, die er intus hatte. Sein Kopf dröhnte, und er würde sich gleich übergeben müssen. Das konnte er auch hier auf dem Teppich tun.
Er nahm an, dass er geschlafen hatte, war sich aber nicht sicher. Ebenso wenig wusste er, wie viel Zeit vergangen war. Er griff nach der Flasche neben sich und hielt sie hoch. Fast leer. Scheiße.
Er wälzte sich auf die Seite und erbrach sich. Dann stemmte er sich mühsam hoch und hievte sich aufs Bett. Wieder dieser hohe Piepton, der ihn so unsanft aus seiner Betäubung gerissen hatte. Er hob das Handy vom Boden auf und richtete seinen verschwommenen Blick auf die SMS .
Mach ich .
Er musste sich wieder erbrechen. Gut, dachte er. Dieser seltsame, unwirkliche Rauschzustand war das einzig Wahre. Alles fühlte sich viel besser an, nicht so ätzend und grausam. Endlich kam er wieder ein wenig zur Ruhe.
Für den Rest des Tages lag Max auf seinem Bett, mal schlafend, mal in einem halbwachen Dämmerzustand, überzeugt, dass das Leben endlich wieder ins Lot kam. Als er erwachte, war es mitten in der Nacht und stockdunkel, und von seinen Kopfschmerzen war nur noch ein leichtes Stechen geblieben. Er stand auf, ging in die Küche und schaltete das Licht ein. Hier war alles blitzblank, ganz anders als im richtigen Leben. Während er die Tür des riesigen Kühlschranks öffnete, brach wie eine Flutwelle der Gedanke an Dayna über ihn herein.
Er sank auf den Boden und weinte. Sie wollte ihr gemeinsames Kind umbringen.
Donnerstag, 30. April 2009
E inerseits konnte Brody kaum glauben, dass sie es wirklich tun wollte. Doch er brachte auch ein gewisses Verständnis für Carries Verhalten auf. Sie versuchte eben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas zu unternehmen. Allerdings war es ihm unbegreiflich, dass sie überhaupt dazu imstande war. Schließlich war es erst eine Woche her, dass Max zu Tode gekommen war.
DCI Masters hatte es ihm mitgeteilt, als Brody ihn anrief, um sich nach Neuigkeiten zu erkundigen. »Morgen? Sind Sie sicher?«, fragte Brody. Warum hatte Carrie ihm nichts von der Show erzählt? Ganz einfach – sie hatte Angst gehabt, er würde sie deswegen angreifen.
»Zuerst wollte das Mädchen nicht mitmachen«, berichtete Masters. »Aber dann hat DI Britton ihren Charme spielen lassen …« Mit seinem feinen Gehör nahm Brody die empörte weibliche Stimme im Hintergrund wahr. »Sie hat dem Mädchen erklärt, sie soll sich an die Öffentlichkeit wenden und um Hinweise bitten. Ich habe die Hoffnung, dass es ihrem Gedächtnis auf die Sprünge hilft und sie uns danach etwas erzählen kann. Ich weiß, es ist viel verlangt von dem Mädchen, aber so etwas hat schon öfter funktioniert. Und selbst wenn nicht, rückt zumindest das Problem der Bandenkriminalität wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.«
Es könne ja nicht schaden, hatte Masters noch hinzugefügt, und Brody hatte halbherzig zugestimmt, obwohl es ihm noch zu früh für alle Beteiligten erschien. Andererseits wusste er nicht, wann sich sein Gefühl ändern und er es gutheißen würde, dass seine Exfrau im Fernsehen über die Ermordung ihres Sohnes sprach. Es machte Max ja doch nicht wieder lebendig.
Zum ersten Mal seit einer Woche klappte Brody seinen Laptop auf und rief seine E-Mails ab. Er stellte fest, dass er dreihundertsiebenunddreißig ungelesene Nachrichten hatte und fünfmal so viele im Spamordner gelandet waren. Er sortierte die E-Mails nach den Absendern und hörte sich die wichtigsten an. Es war nichts dabei, was er sofort erledigen musste.
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