Der fremde Sohn (German Edition)
entlassen?
»Mein Sohn wurde heute umgebracht.«
Die Worte klangen tonlos, ins Leere gesprochen.
»Umgebracht?« Einen Augenblick lang war Dennis sprachlos. Dann riss er sich zusammen. »Mein Gott, Carrie, wie ist das passiert?«
Sie wollte auf die Uhr schauen, doch sie trug keine. »Haben wir immer noch heute?«
»Wir haben Freitag.« Dennis ergriff Carries Hände. Sie waren kalt.
»Dann war es erst heute Morgen, dass Max getötet wurde?« Ihre Stimme klang ganz dünn.
Max . Dennis’ Mund wurde trocken. »Ich … ich weiß nicht.« Er warf einen Blick zur Tür. Leah, Al und Chris standen in der Eingangshalle und verfolgten die Szene.
»Kann ich Sie kurz sprechen, Den?«, bat Al seinen Chef.
Dennis erhob sich, und Leah nahm Dennis’ Platz ein.
Al ging mit Dennis hinaus in die Halle und sagte leise: »Max Quinell, der Junge, der heute Morgen bei der Schule erstochen wurde … Das war Carrie Kents Sohn. Jess hat uns die Adresse der Mutter gegeben, und … na ja, deswegen sind wir hier.« Er nannte ihren Namen mit dem Unterton von Ehrfurcht, mit dem alle Leute einen berühmten Namen aussprechen.
»Verdammt noch mal –« Dennis fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Ihm war plötzlich flau. Während seiner ganzen Zeit bei der Kripo hatte er erst einmal ein Opfer persönlich gekannt. Ein Mädchen aus Estelles Kindergartengruppe war bei einem Unfall mit Fahrerflucht ums Leben gekommen. Als er daran dachte, lief es ihm kalt den Rücken hinunter. »Mein Gott.« Endlich fügte sich das Puzzle zusammen. Er atmete tief durch. »Also dann«, sagte er, »an die Arbeit.«
Al nickte. Mit gesenktem Kopf gingen die beiden wieder zu Carrie ins Wohnzimmer. So, wie sie es in Reality Check bei Hunderten von Showgästen getan hatte, würde Dennis Masters sie jetzt über ihren Sohn ausfragen. Als er neben ihr in die Hocke ging und in ihre ausdruckslosen Augen blickte, wusste er nicht, wo er anfangen sollte.
Herbst 2008
K einer von beiden wollte zugeben, dass er den Film schon gesehen hatte. Auf dem Weg zum Kino gingen sie noch kurz in einen Sparmarkt, um sich Süßigkeiten und Getränkedosen zu holen.
»Magst du Revels?«, fragte Max.
»Die mit Kaffeegeschmack sind eklig.«
»Dann Malteser?« Er hielt eine große Tüte hoch.
»Nee.«
Dayna nahm eine Packung Weingummi in die Hand. »Die hier?«
»Klar.« Max verabscheute diese Drops, aber er stimmte zu, weil er gesehen hatte, wie Daynas Augen beim Anblick der quietschbunten Süßigkeiten aufleuchteten. Sie bezahlten und traten in den Sonnenschein hinaus. Man glaubte fast, das Straßenpflaster zischen zu hören, als das Regenwasser in der Sonne verdunstete.
»Indian Summer«, sagte Max. Sie standen an der Bushaltestelle. Bis zum Kino waren es fünf Minuten zu fahren. »Gleich kommt einer.« Über die Köpfe des älteren Ehepaares hinweg, das neben ihnen stand, schauten sie die Straße entlang.
»Eigentlich noch nicht«, entgegnete Dayna. Die Dose in ihrer Hand war kalt und nass.
»Was meinst du?«
»Wir hatten noch keinen Frost. Für den Indian Summer muss es zuerst Frost geben und dann mindestens sieben warme Tage.«
Max überlegte. »In Schottland hat es bestimmt schon gefroren.«
»Aber hier eben nicht.« Sie presste die Dose an ihre Lippen.
Max bemerkte es und fragte sich, ob sie sich wohl gerade vorstellte, wie es wäre, ihn zu küssen. Sie hatte einen hübschen Mund. Er hätte zu gern mit ihr geknutscht, wusste aber nicht, wie er die Sache einfädeln sollte. Dann kam der Bus, und Max winkte, damit er hielt.
»Wie war es eigentlich auf deiner früheren Schule?«
Der Bus fuhr gemächlich los. Max stellte sich so hin, dass Daynas und seine Schultern sich berührten.
»Kam drauf an.«
»Worauf?«
»Ob man beliebt war oder nicht.«
»Und, warst du’s?«
Max lachte. »Sehe ich so aus?« Er schob seinen Pullover hoch und strich mit den Händen über seine magere Brust, so dass man die Schrift auf seinem T-Shirt lesen konnte. Es war von oben bis unten mit dem Wort Loser bedruckt, ganz oben in riesigen Lettern, die nach unten immer kleiner wurden.
Dayna sah ihn an. »Das bist du nicht.«
Und plötzlich fühlte sich Max auch nicht mehr wie ein Verlierer, und das lag zweifellos daran, dass er mit ihr zusammen war. »Du hast ja die Rückseite noch nicht gesehen«, erwiderte er grinsend und biss sich fest von innen in die Wange. Noch nicht, hatte er gesagt, als sei es eine Selbstverständlichkeit, dass er irgendwann den Pullover vor ihr ausziehen
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