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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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langen Reise zu müde für die Liebe wäre, würden sie sich einfach in den Armen halten und dankbar sein, dass sie einander hatten und Max und ein schönes Haus und gute Jobs und – nicht wahr? – wirklich ein perfektes Leben.
    Carrie begann zu zittern, und jeder Muskel in ihrem Körper verkrampfte sich, bis sie vor Schmerz aufschrie.
    Max war tot.
    Ihr Sohn war ermordet worden.
    Nichts war perfekt. Nichts war jemals perfekt gewesen.
    Als sie die Augen aufschlug, war es unerträglich hell. Ihr Hals war steif, weil ihr Kopf seitlich auf der Sessellehne geruht hatte. Dann fiel ihr alles wieder ein. Auch wenn sie nur leicht und sehr unruhig geschlafen hatte, brach die Erinnerung jetzt mit voller Wucht über sie herein.
    Carrie stand auf. Sie musste etwas essen, auch wenn sie keinen Appetit hatte. Sie ging in die Küche und schälte sich eine Banane. Dabei warf sie einen Blick auf die Uhr: zehn vor sieben. Normalerweise hätte sie jetzt schon zwanzig Minuten auf dem Laufband trainiert. Dann unter die Dusche und danach ein Frühstück mit Kaffee, Obst, Toast, was immer Martha ihr vorsetzte. Anschließend widmete sich Carrie für gewöhnlich eilig ihren E-Mails und den Anweisungen für die Show.
    »Warum?«, schrie sie und schleuderte die Bananenschale quer durch die Küche. Fast wäre ihr die Banane wieder hochgekommen. Verdammt noch mal, sie war eine Mutter, ebenso gut wie jede andere, und jetzt hatte sie ihren einzigen Sohn verloren. Aber warum ließ sie den Schmerz nicht an sich heran, wie es all die verwaisten Mütter und Väter taten, die sie in all den Jahren interviewt hatte?
    Carrie dachte daran, wie oft sie schon in schäbigen Häusern gesessen und versucht hatte, einer trauernden Mutter ein paar zusammenhängende Worte zu entlocken. Sie erinnerte sich an Lorraine Plummer. Ich habe so viel Glück und du nicht, hatte sie damals gedacht. Dieses Gefühl der Distanz hatte sie gebraucht, um weitermachen zu können.
    Und nun war sie in der gleichen schlimmen Situation. Diese Gewissheit versetzte ihr einen heftigen Stich, und ihr kamen sofort die Tränen. Vielleicht, dachte sie, bin ich doch nicht anders als die anderen.
    Sie hörte den Schlüssel im Schloss. Wer war das? Kam Brody von der Arbeit zurück … oder Max von der Schule?
    Scheiße .
    »Hallo, ich bin’s!«, ertönte eine Stimme in der Halle. Dann Schritte in der Küche, und Martha kam mit ausgebreiteten Armen über den Fliesenboden auf sie zu. »Ach, Carrie, meine Liebe, es tut mir so schrecklich leid. Ich habe es eben erst aus den Radionachrichten erfahren und bin hergekommen, so schnell ich konnte. Mir hat ja keiner was gesagt.«
    Mit ihren ausgestreckten Armen überwand Martha den unsichtbaren Graben, der stets zwischen den beiden Frauen bestanden hatte. Carrie ließ sich von ihr umschlingen und war überrascht, wie kräftig Martha war. Es tat gut, sich einfach fallen zu lassen.
    »Nicht«, hörte Carrie sich plötzlich sagen.
    Martha wich sofort zurück. »Tut mir leid. Es ist nur …«
    »Ich weiß schon.« Carrie ließ die Hände sinken und setzte sich auf einen Hocker.
    Martha begann sofort, unter Kopfschütteln den Wasserkessel zu füllen.
    »Wissen sie schon, wer es getan hat?« Martha stützte sich Carrie gegenüber auf den Küchentresen. Sie hatte geweint. Carrie war plötzlich sehr froh, dass sie da war.
    »Nein, noch nicht.« Carrie war sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Täter gefasst wurde. An eine andere Möglichkeit mochte sie gar nicht denken.
    »Ich habe auch einen Sohn verloren.« Es schien, als habe Martha für diese Bemerkung all ihren Mut zusammengenommen.
    Carrie sah auf und zog stumm die Augenbrauen hoch. Für eine Erwiderung fehlte ihr die Energie.
    »Mein Sohn war eine Totgeburt. Das ist jetzt schon viele Jahre her. Ich durfte ihn nur neun Monate in meinem Bauch tragen. Bei der Geburt hatte er die Augen offen und hat uns damit für ein paar Sekunden in die Irre geführt.« Martha stieß ein kleines Lachen aus. »Die ganze Zeit über hat er gar nicht aufgehört zu treten und dann … nichts mehr.«
    Die beiden völlig verschiedenen Frauen waren für einen Augenblick in gegenseitigem Verständnis miteinander verbunden.
    »Das tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung«, stammelte Carrie.
    Martha kam um den Tresen herum und ergriff Carries Hände. »Ich lasse nicht zu, dass Sie hier allein herumsitzen und weinen. Ich bleibe bei Ihnen. Max war ein guter Junge, ein lieber Junge. Er würde wollen, dass ich mich

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