Der fremde Sohn (German Edition)
wenige Zentimeter neben ihrer Schulter gegen den Baum klatschte. Von dem Gestank wurde ihr ganz schlecht. »Verpiss dich, du Kröte!« Sie hob einen Stein auf und schleuderte ihn auf den Neunjährigen, der zusammen mit einem anderen Jungen auf der Suche nach weiteren Hundehaufen war. Der Stein verfehlte ihn, worauf der Junge sie mit einer Flut von Schimpfwörtern überschüttete. Eines davon ärgerte sie besonders. »Das reicht!« Wutentbrannt rappelte sie sich auf. »Kommt her, ihr kleinen Mistkerle.«
Nach einem Sprint über den mit Abfall übersäten Platz bekam Dayna einen der Jungen am Kragen zu fassen und schleuderte ihn im Kreis herum, bis er fast keine Luft mehr bekam. Der andere machte sich auf seinem Fahrrad aus dem Staub.
»Gib her, was du da in der Tasche hast!«, fuhr sie den Jungen an. Der zuckte nur die Achseln, ein Grinsen auf dem blassen Gesicht. Mit einer gewissen Genugtuung versetzte sie ihm eine Ohrfeige und machte sich dann daran, seine Hosentaschen zu durchsuchen.
»He, Finger weg, du perverse Ziege!«, kreischte er, doch Dayna ließ nicht locker, bis sie ihm die Zigarettenschachtel abgenommen hatte.
Sie grinste ebenfalls. »So kleine Scheißer wie dich fresse ich zum Frühstück.« Triumphierend hielt sie die Zigaretten hoch. »Und jetzt verpiss dich und sag deinem Kumpel, das nächste Mal ist er dran.«
Eine Zigarette im Mund, ging Dayna davon. Ihr Herz klopfte vor Freude, weil sie sich endlich einmal gewehrt hatte, wenn auch nur gegen einen Neunjährigen. Sie ging zu dem einzigen Ort, an dem sie sich sicher fühlte.
Im Schuppen zündete sie eine Duftkerze an – dieselbe, die auch gebrannt hatte, als Max ihr mit dem Finger über den sommersprossigen Arm strich. Dann legte sie sich hin, presste das Gesicht fest gegen die angewinkelten Knie und weinte sich in den Schlaf.
Im Internet würde sie alles finden. Sie konnte nicht oft an den PC , doch wenn sie diesmal Glück hatte, schlief Kev nach seinem mittäglichen Besuch im Dog and Gun ein, ohne sich zuvor die nackten Frauen und die Teenager-Pornos im Internet anzusehen.
Ihr Wunsch ging in Erfüllung. Als sie vom Schuppen nach Hause kam, lag Kev ausgestreckt auf dem Sofa, den Hund auf den Beinen. Beide ließen die Zunge heraushängen. Dayna wurde bei dem Anblick ganz übel.
Im selben Zimmer, in einer Nische unter der Treppe, stand der Computer. Er war schon alt und nicht so ein schickes Modell wie der, den Max ihr hatte schenken wollen. Der Monitor war riesig und von einer dicken Staubschicht überzogen. Auf dem Bildschirm hatten Lorrells klebrige Bonbonfinger ihre Spuren hinterlassen. Wie oft zeigte sie eifrig auf ihre Lieblings-Zeichentrickfiguren oder auf die Spielsachen in den Werbeanzeigen, die sie sich wünschte und nie bekommen würde. Die ausgeleierte Tastatur war vergilbt von den zahllosen Berührungen nikotinverfärbter Finger, und der Mauszeiger schlich über den Bildschirm, als sei auch er abgenutzt und altersschwach.
Dayna beobachtete Kev, während sie darauf wartete, dass der Computer komplett hoch gefahren war. Der Hund war zu faul, sein warmes Lager auf den Beinen seines Herrchens zu verlassen, um sie zu begrüßen. Er sah sie nur mit einem Auge an und wedelte halbherzig mit dem kurzen Schwanz. Endlich konnte sie den Browser starten, öffnete die Seite des Fernsehsenders und klickte sich durch das Archiv. Über den Bildschirm liefen zahlreiche Titel, von Spielfilmen über Talkshows bis hin zu Nachrichtensendungen. Zuoberst auf der Liste der beliebtesten Sendungen stand Reality Check .
»Warum?«, flüsterte Dayna vor sich hin.
Warum hatte Max ihr nicht erzählt, dass Carrie Kent seine Mutter war? Sie konnte es immer noch nicht fassen.
Die Startseite der Show verschwand, und Carrie erschien auf dem Bildschirm. In der aufgetakelten und perfekt durchgestylten Person erkannte Dayna kaum die Frau wieder, der sie vor wenigen Stunden gegenübergesessen hatte. Die bezaubernde Carrie Kent auf dem Monitor lächelte verführerisch und machte mit der Hand die berühmte Geste, mit der jede ihrer Shows begann.
Dayna wählte aufs Geratewohl eine Sendung vom vergangenen Monat. Der alte Computer brauchte eine Ewigkeit, um die Seite zu öffnen. In der Zwischenzeit stellte Dayna den Ton ganz leise, um Kev nicht zu wecken, und beugte sich dicht zum Monitor vor. Endlich begann das Video. Carrie Kent stand mitten auf der Bühne in einem engen scharlachroten Rock, schwarzen Stöckelschuhen und einer cremefarbenen Bluse, die so tief
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