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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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genannt.
    »Ach, Fiona, das ist kompliziert.« Er stieß einen Seufzer aus, der in Fionas Ohren ziemlich verzweifelt klang.
    »Ist nicht das ganze Leben kompliziert?«, erwiderte sie.
    »Nicht die Mathematik.«
    Sie zog es vor, nichts zu entgegnen.
    »Du warst nie verheiratet, oder, Fiona?«
    Fionas Herz machte einen Sprung, und ihre Hände umklammerten fest das Lenkrad. Woher wusste er das? Er hatte sich doch nie für ihr Privatleben interessiert, abgesehen von gelegentlichen Fragen wie »Was machst du denn an Weihnachten?« oder »Wie war dein langes Wochenende?«. Und sie hatte ihm auch nie von ihrer gescheiterten Beziehung erzählt. Sie hatte Angst, ihn mit Einzelheiten zu langweilen.
    »Nein«, brachte sie hervor. »Ich bin wohl nicht der Typ zum Heiraten.« Gleich darauf hätte sie sich selbst ohrfeigen mögen für diese Bemerkung.
    Ihr distanziert höflicher Umgang stand in krassem Gegensatz dazu, in welche intimen Bereiche seines Lebens sie bereits vorgedrungen war. Immerhin war sie schon oft in seinem Schlafzimmer gewesen und hatte seine persönlichen Habseligkeiten aufgeräumt. Sie suchte seine Unterwäsche aus, machte seinen Kühlschrank sauber, sortierte seine E-Mails vor und sah ihm beim Älterwerden zu. Nichts davon hatte in ihrer Stellenbeschreibung gestanden, doch ihr war es recht. So fühlte sie sich ihm wenigstens in manchen Augenblicken nah.
    »Falls du jemals in die Versuchung kommst, lass es bleiben«, fuhr er fort.
    Die Nägel fest ins Lenkrad gekrallt, schwieg sie für den Rest der Fahrt, so, wie Brody es gern hatte.
    Erst als sie die zweispurige Schnellstraße verlassen hatten und auf einer gewundenen Landstraße durch malerische Dörfer fuhren, als sie schließlich die von herbstlich schimmernden Bäumen gesäumte Auffahrt erreichten und Fiona das blau-goldene Willkommensschild des Denningham College bemerkte, begriff sie, dass es wieder einmal um Max ging.

Samstag, 25. April 2009

    S ie entdeckten sie durch Zufall. Anfangs dachten sie, es sei ein Kind, dieses kleine Bündel, das am Rand der Siedlung Gorse Vale zusammengekrümmt unter einem Baum lag – so ziemlich dem einzigen Baum weit und breit. Doch als es ihre Stimmen hörte und sich aufrichtete, entpuppte es sich als frech aussehendes junges Mädchen. Sie fragten sie, wo Dayna Ray wohnte.
    »Machen Sie Witze oder was?« Sie sprühte förmlich vor Aggressivität – offensichtlich ein Mädchen, das es gewohnt war, sich zur Wehr zu setzen. Mit stark geschminkten Augen, die jetzt schwarz verschmiert und nass von Tränen waren, blickte sie zu ihnen auf. Ihre Nase lief.
    »Nein«, erwiderte Carrie freundlicher als beabsichtigt. »Wir müssen sie finden. Die anderen Kids haben gesagt, sie wohnt auf dieser Seite der Siedlung.«
    Das Mädchen schaute Carrie mit zusammengekniffenen Augen an, in denen nun so etwas wie Erkennen aufleuchtete. Dann musterte sie Brody von oben bis unten und ließ schließlich die Stirn wieder auf die angezogenen Knie sinken. »Sie wohnt da drüben.« Mit ausgestrecktem Arm deutete sie hinter sich.
    »Danke«, sagte Carrie und wollte die angegebene Richtung einschlagen.
    »Sie ist nicht zu Hause.«
    Carrie blieb stehen und drehte sich um. Das Mädchen war aufgestanden – ein dünnes Ding in schwarzer Lederjacke und grauer Jeans. Ihr Haar war vom zu häufigen Färben an den Spitzen ausgefranst, mit einem Ansatz in einem dunklen Blond. Sie versuchte, wie achtzehn oder neunzehn auszusehen, dachte Carrie, doch in Wahrheit war sie wahrscheinlich erst fünfzehn. Im selben Alter wie Max. Carries Magen krampfte sich zusammen.
    »Was wollen Sie von ihr?« Das Mädchen wischte sich die Nase am Ärmel ab und unterdrückte ein Schluchzen, so dass es klang, als hätte sie Schluckauf.
    »Mit ihr reden«, sagte Brody. Beim Klang seiner kräftigen Stimme wich das Mädchen zurück.
    Carrie legte Brody eine Hand auf den Arm, wobei sie selbst nicht wusste, ob sie es tat, um ihn zu führen oder um Trost bei ihm zu suchen. »Wir wollen ihr nur ein paar Fragen stellen.« Carrie spürte, wie ihr ein Schluchzen in die Kehle stieg. Alles schien so unwirklich.
    »Was für Fragen?« Das Mädchen zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und steckte sich mit zitternden Fingern eine an. Zwischen schmalen Lippen stieß sie den Rauch aus.
    »Spielt doch keine Rolle.« Carrie senkte den Kopf. Sie war ja kaum in der Lage zu sprechen und schon gar nicht bereit, einer Fremden alles zu erzählen. »Danke«, fügte sie hinzu und wandte sich

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