Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
schicken, mal sehen, ob wir etwas darüber in Erfahrung bringen können. Was sagt uns die Leiche?«
Siri trat neben den Leichnam und schlug die Plastikplane zurück. Er zeigte Phosy die schwieligen Finger und sonnenverbrannten Knöchel. Er und der Polizist spielten sich fast eine Stunde lang Ideen zu, gelangten aber zu keinem schlüs sigen Ergebnis. Der Zustand der Leiche stellte sie buchstäblich vor ein Rätsel.
Normalerweise sprach Dtui ein Machtwort, wenn ihr Mann am Wochenende zu arbeiten gedachte, doch dieser Fall war ihr ein persönliches Anliegen. Sie hatte ihm aufgetragen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um den Tod der jungen Frau zu rächen. Er wollte im Lauf des Nachmittags nach Vang Vieng fahren und Sergeant Sihot zur Seite springen. Siri nahm sich vor, noch einmal gründlich über den Zustand seiner Madonna nachzudenken, solange die beiden Polizisten fort waren.
Zum Verdruss ihrer zahlreichen Gäste war Madame Daengs Garküche sonntags geschlossen. Denn an diesem Tag hatte Siri frei, und sie bestand darauf, jede einzelne seiner vierundzwanzig Stunden mit ihrem Gatten zu verbringen. Wogegen dieser überhaupt nichts einzuwenden hatte. Die beiden wanderten für ihr Leben gern, aber da Daengs Arthritis das weitgehend unmöglich machte, fuhren sie mit Siris Motorrad allsonntäglich zu einem hübschen Plätzchen, wo es ehedem von fröhlichen Menschen nur so gewimmelt hätte. In letzter Zeit jedoch genossen sie ihr Picknick zumeist allein.
Siri hatte beschlossen, diesen Sonntag ausnahmsweise in Vientiane zu verbringen. Als sie gegen neun Uhr aufbrachen, war die Hauptstadt wie ausgestorben. Die Läden hatten geschlossen, manche schon so lange, dass die Schlösser an den Gittern festgerostet waren. Die Häuser verfielen zusehends. Der Märzstaub lag wie eine graubraune Schneedecke auf den Dächern. Selbst die asphaltierten Straßen glichen Aschenbahnen. Nur gelegentlich ließen sich vereinzelte Farbtupfer entdecken. Auch von einst grellbunten Reklametafeln waren bloß verwaschene Pastelltöne geblieben. Alles war ruhig, nur hier und da auf ihrem Rundgang durch die Straßen hörten sie, wie sich jemand räusperte oder den Treppenaufgang fegte.
Sie streiften keineswegs ziellos durch die Stadt. Siri und Daeng fuhren überall dorthin, wo der Verrückte Rajid gewöhnlich anzutreffen war: am Nam-Phou-Brunnen, vor der Schwarzen Stupa, bei den drei alten Villen aus der französischen Kolonialzeit in der Samsenthai Road sowie am Ufer des Mekong. Soviel sie wussten, war dies das Revier des jungen Mannes. An jeder offenen Haustür blieb Siri stehen und plauderte mit den Bewohnern. Ja, der Verrückte Rajid sei ihnen durchaus bekannt, wenn auch nicht mit Namen. Siri fragte sich allmählich, ob nicht am Ende Civilai und er dem armen Kerl dieses Epitheton angehängt hatten. Einige hatten dem Landstreicher gelegentlich etwas zu essen zugesteckt oder ihm einen Schluck Wasser angeboten. Manche hatten sogar versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber wie es schien, waren Siri, Civilai und Inspektor Phosy die Einzigen, die ihn jemals hatten sprechen hören, wenn auch selten mehr als ein paar Wörter.
Für die meisten Leute gehörte er zum Stadtbild, und in einem Punkt waren sich alle einig: »Da fällt mir ein, dass ich ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe.« Das letzte Mal war er anscheinend am vergangenen Donnerstag gesichtet worden. Mit anderen Worten, der verrückte Inder war bereits seit zehn Tagen verschwunden. Die genauen Umstände waren unklar. Niemand merkt sich, wann und wo er einem Obdachlosen begegnet ist. Doch die Aussage einer Zeugin war so detailliert, dass Siri Grund zur Besorgnis hatte.
Ba See verkaufte in einem winzigen Lädchen in der Samsenthai Ecke Pangkham Road alte Briefmarken und Münzen. Davon konnte sie zwar mit Sicherheit nicht leben, aber für sie gab es nichts Schöneres, als in ihrem ramponierten Korbsessel zu sitzen und dem Treiben auf der Straße zuzuschauen.
»Jeden Freitag um Punkt halb sechs isser hier aufgekreuzt«, sagte sie. »Man konnte die Uhr danach stellen. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat. Ich hab ihn nie ’ne Armbanduhr tragen sehen, und auch sonst trug er nicht allzu viel am Leib. Und dann ging er immer zur ersten der drei Villen da gegenüber.« Sie deutete auf drei altersschwache Gebäude aus der französischen Kolonialzeit hinter einer niedrigen, weiß getünchten Mauer. Auch die Häuser waren einmal weiß gewesen, doch die Zeit und das
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