Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
Fah holte einen kleinen Ventilator, der an einem langen Verlängerungskabel hing, aus dem Haus und stellte ihn auf die Veranda. Langsam drehte der Kopf sich hin und her. Was an der Temperatur nicht das Geringste änderte.
»Und schließlich«, sagte Siri, »Regel Nummer fünf: Inthanet?«
»Jawohl, mon général ?«
»Gehe ich recht in der Annahme, dass wir das kaputte Fenster Ihnen zu verdanken haben?«
»Jawohl, Genosse.« Er lächelte. »Indirekt.«
»Und trifft es ferner zu, dass daran ein Ziegelstein schuld war, der über den Gartenzaun geflogen kam?«
»Ein Gedenkbecher der Asienspiele 1972«, korrigierte er.
»Ziemlich gefährlich, finden Sie nicht?«
»Sie hat immerhin gewartet, bis die Kinder aus dem Haus waren.«
»Ein schwacher Trost. Aber, mein Freund, es ist wirklich höchste Zeit, das Kriegsbeil zu begraben. Es gab einmal eine Zeit, da standen Sie und Fräulein Vong sich ausgesprochen nahe. Wenn ich mich recht entsinne, war sogar von Hochzeit die Rede. Rachsüchtige Nachbarinnen können wir uns nicht leisten. Verstehen Sie, was ich sagen will? Ich möchte, dass Sie sich bei ihr entschuldigen.«
»Warum?«, fragte Inthanet entrüstet. »Weil ich mit einer anderen verheiratet bin?«
»Nein, weil Sie es ihr verschwiegen und ihr trotzdem den Hof gemacht haben.«
»Es war mir entfallen.«
»Dass Sie vier Kinder und neun Enkel haben, war Ihnen entfallen?«
»Nein, nur, dass ich verheiratet bin. Meine Frau hatte mich schon vor Ewigkeiten verlassen. Lange bevor die Kinder aus dem Haus waren. Ich hatte sie aus meinem Gedächtnis gestrichen.«
»Gut, das ist ein brauchbarer Ansatz – Amnesie. Das wird zwar nicht ganz einfach, so viel kann ich Ihnen garantieren, aber ich möchte mit den Nachbarn in Frieden leben. Kapiert?«
Inthanet nickte.
»Gut, dann war’s das.«
»Der Schirm«, rief Daeng ihm ins Gedächtnis.
»Ach ja. Könnte mir vielleicht jemand erklären, warum ein Schirm durchs Dach ragt?«
Lia, die Enkelin des blinden Hmong, hob schüchtern die Hand.
»Onkel?«
»Ja, Schätzchen?«
»Ich war. Ich mache Loch in Dach.«
»Warum?«
»Weil Großvater hat gesagt, ist gefährlich, im Haus Feuer machen ohne Loch in Dach, wo Rauch rausgehen kann. Ich nehme Besenstiel. Und steige auf Stuhl.«
»Du bist ein starkes Mädchen«, sagte Siri. »Das Dach war doch recht stabil.«
»Hat gedauert eine Stunde.«
»Aber weiß dein Großvater denn nicht, dass man im Haus kein Feuer machen darf?«
»Hmong-Häuser alle haben Loch in Dach.«
»Ich weiß. Aber dieses Haus hat einen Gasherd und Fenster, die man öffnen kann. Würdest du ihm das erklären?«
»Ich sage.«
»Danke.«
»Ich habe den Schirm durchgesteckt, falls die Regenzeit dieses Jahr früher einsetzt«, erklärte Inthanet. »Und den Eimer drangehängt, damit er nicht wegfliegt.«
»Aha, verstehe«, sagte Siri. »Aber wenn ich Ihnen neue Dachziegel vorbeibringe, wären Sie dann wohl so freundlich, das Loch zu reparieren?«
»Kein Problem.«
»Danke.«
» Bo ben nyang! «, sagte der alte Puppenspieler.
Mit einem kollektiven Seufzer der Erleichterung war die Sitzung schließlich beendet. Siri hatte den Eindruck, dass in sämtlichen Fragen freundschaftliches Einvernehmen herrschte. Die Frauen hatten sich in die Küche zurückgezogen, und aus dem offenen Fenster drangen Rauchschwaden. Essensduft erfüllte das Haus. Siri und Inthanet saßen auf der Veranda und köpften eine zweite Flasche Reiswhisky. Siri musste an den Verrückten Rajid denken, doch genau wie Daeng und er stammten sämtliche Hausbewohner aus der Provinz und hatten von dem jungen Mann vermutlich nie gehört. Nur seine Nachbarin, Fräulein Vong, hatte in Vientiane das Licht der Welt erblickt, und die war zu einer einwöchigen Schulung in den Norden gereist. Da fiel ihm etwas ein. Er rief Lia zu sich.
»Tut mir leid, Onkel«, sagte sie.
»Schon gut, Schätzchen. Es geht nicht um das Dach.« Lächelnd nahm er ihre Hand. »Als du und dein Großvater bettelnd durch die Stadt gezogen seid, habt ihr da vielleicht einen halbnackten Mann gesehen?«
»Mann aus Indien«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.
»Ja, genau. Er heißt Rajid, vielleicht aber auch anders. Er ist ein bisschen …« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.
»Kenne ich.«
»Gut, also, er wird vermisst. Wir können ihn nirgends finden. Seit zehn Tagen hat ihn niemand mehr gesehen.«
»Ich hoffe, nicht krank.«
»Ich auch, Lia. Weißt du vielleicht, wo er sich versteckt
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