Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
an den Händen hatte. Er öffnete die Kühlkammer, zog die Schublade heraus und sprach sich laut vor, was er sah, wie Dtui bei der äußeren Leichenschau.
»Keine Pigmentflecken«, sagte er. »Also … hat sie sich entweder kaum im Freien aufgehalten, und wenn, dann allenfalls bedeckt. Bedeckt von Kopf bis Fuß, genauer gesagt, bis zu den Knöcheln. Warum nimmt jemand diese Mühe auf sich, nur um der Sonne zu entgehen? Und warum hat sie dann nicht auch die Füße verhüllt? Verrückt.« Und die Füße waren weder von der Sonne versengt noch verhornt vom vielen Gehen. Sie waren weich. Die einzigen Füße, die eine ähnliche Konsistenz aufwiesen, waren …
Aus dem Büro drang ein Geräusch herüber. Für Dtui war es noch zu früh, außerdem hätte er ihre Schritte sofort erkannt, aber vielleicht war es Herr Geung, der sich zur Tür hereingestohlen hatte, um den Fußboden zu fegen und Staub zu wischen. Das war sein morgendliches Hobby. Es erfüllte ihn mit Stolz, wenn in der Pathologie alles blitzte und blinkte. Wer weiß, zu welcher Morgenstunde er seine enge Schlafkammer verließ und dort Zuflucht suchte, wo er sich wohl und geborgen fühlte?
»Morgen!«, rief Siri. Keine Reaktion.
Er durchquerte den schummrigen Vorraum und betrat das verdunkelte Büro. Es war niemand dort. Sein fehlendes Ohrläppchen kribbelte. Das Amulett um seinen Hals fühlte sich wärmer an als sonst. Er spürte, dass er nicht allein war. Vielleicht hatte die Tote im Sektionssaal ihn erhört und wollte sich ihm endlich anvertrauen. Er machte kehrt. Auf dem Weg durch den Vorraum lief ihm mit einem Mal ein Schauer über den Rücken. Ein kaltes, feuchtes Gefühl liebkoste seine Haut, und er blieb schlagartig stehen. Der Geruch von nasser Erde hing in der Luft und schien ihn umfangen, ja erdrücken zu wollen. Er wusste sofort, dass es nichts mit dem toten Mädchen zu tun hatte.
Hinter ihm raschelte es, und als er den Kopf wandte, sah er gerade noch, wie ein Schatten durch das Büro huschte. Er ging zurück zur Tür, und da, in der Mitte des runden Teppichs, lag Saloop und sabberte. Es war ein schwerer Moment. Siri mochte seinen Hund, und am liebsten hätte er sich gebückt und ihn getätschelt und hinter den Ohren gekrault. Da hatte das Tier es immer besonders gern gehabt. Und gegen ein paar Streicheleinheiten hatte doch sicher auch ein Geisterhund nichts einzuwenden. Aber deshalb war Saloop nicht gekommen. Er stand auf und bellte, auch wenn das Geräusch mit zwei Sekunden Verzögerung ertönte, wegen der Dimensionsverschiebung. Er drehte sich im Kreis, als wollte er seinen früheren Herrn auffordern, ihm zu folgen.
Siri trat durch die Tür und sah sofort, weshalb Saloop so ein Theater machte. Der Doktor hatte sich für unerschütterlich gehalten. Die Zahl der toten Soldaten, die ihn im Traum besucht hatten, war Legion. Der Geist einer Frau, bei der es sich aller Wahrscheinlichkeit um seine Mutter handelte, folgte ihm wie ein Albatros auf Schritt und Tritt. Er beriet sich regelmäßig mit einem Mönch im Hay-Sok-Tempel, der eindeutig nicht von dieser Welt war, doch die Gestalt, die dort an seinem Schreibtisch saß, hätte selbst dem hartgesottensten Schamanen eine Gänsehaut bereitet.
Sie war unangenehm übergewichtig, hässlich wie eine bucklige Kröte und unverkennbar nackt. Ihre Haut, wenn man sie denn als solche bezeichnen konnte, war eine wimmelnde Masse lebender Würmer. Sie krochen ihr aus den Augenhöhlen, aus Mund und Nase. Siri trat vorsichtig näher und sah, dass sie ihren mächtigen, aufgeschwollenen Wanst nicht etwa übermäßigem Biergenuss, sondern einer Schwangerschaft verdankte; er tippte auf den achten Monat. Ihr Bauch glänzte vor Schweiß. Von dem Anblick wurde ihm fast übel, doch er wollte sich jedes Detail genauestens einprägen, bevor das Bild wieder verschwand. Er wartete auf ein Wort, ein Zeichen, roch aber nur die feuchte Erde und spürte, wie sein Amulett leise vibrierte.
»Bitte«, sagte er. »Ich bin ein klein wenig überfordert. Könnten Sie …?«
Doch wie er befürchtet hatte, lösten sich die hässliche Frau und der Hund bei seinen Worten buchstäblich in Luft auf. Und zurück blieb nur ein unheilvolles Gefühl.
Als Dtui und Geung um acht gemeinsam zum Dienst erschienen, fanden sie Dr. Siri an seinem Schreibtisch vor, wo er auf seine Fingerknöchel starrte.
»Gu… guten Morgen, Genosse Doktor«, sagte Geung.
»Bei jedem anderen würde ich sagen, Sie sehen aus, als ob Sie ein Gespenst gesehen hätten«,
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