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Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)

Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)

Titel: Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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herumgestanden?«
    »Es könnte schlimmer sein. Meine neuen Forensik-Lehrbücher aus Frankreich vergammeln seit Anfang ’76 beim Zoll. Bis die freigegeben werden, können Sie sie vermutlich an mir ausprobieren.«
    Siri verstaute den doppelwandigen Plastikbeutel mit dem Mageninhalt in seiner Umhängetasche und stieg auf sein Motorrad. Da es in der Klinik kein Labor gab, musste Lehrerin Oums Chemiesaal als Ersatz herhalten. In seiner Brusttasche steckte ein Handbuch der Universität Chiang Mai. Neben dem toxikologischen Farbschlüssel enthielt es eine recht begrenzte Anzahl simpler Tests, die mit etwas Glück Hinweise auf Spuren von Gift oder Drogen im Körper eines Toten lieferten. Leider schlugen sie in den meisten Fällen fehl. Er war nicht allzu optimistisch. Zumal er nach den Geistererschei nungen des heutigen Vormittags ohnehin den Eindruck hatte, dass ihn das Glück allmählich verließ.
    Um seine Stimmung zu heben, wäre er am liebsten aufs Land hinausgefahren, doch der Beutelinhalt musste schnellstmöglich gekühlt werden. Vor der ehemaligen Villa des französischen Generalgouverneurs, die am Ende der Lane Xang Avenue thronte, bog er rechts ab. Seit dem Einmarsch der Pathet Lao verwahrloste das Anwesen, und die exotischen Pflanzen, Blumen und Sträucher schossen ins Kraut. Die Rache des kleinen Mannes für sechzig Jahre Kolonialismus. Selbst zur Mittagszeit herrschte auf der Hauptstraße nur spärlicher Verkehr. Mit ihrer laotischen Version des Triumphbogens bildete die Lane Xang Avenue sich ein, sie sei die Champs-Elysées. An ihrer breitesten Stelle bot sie zehneinhalb Autos oder siebenundfünfzig Fahrrädern Platz, doch heute hieß sie nur Dr. Siri und ein kleines Rudel Hunde willkommen, allesamt staubbedeckt.
    Er kam an zwei Regierungsgebäuden vorbei, Finanz- und Außenministerium, die noch bis vor einer Woche schnöde Abteilungen gewesen waren. Dann hatten sie sich, quasi über Nacht, auf wundersame Weise in Ministerien verwandelt. Er erinnerte sich an eine Konferenz in den Höhlen von Vieng Xai, bei der die alten Kader einstimmig beschlossen hatten, ihre Arbeit im Falle einer Machtübernahme nicht mit den sprachlichen Ornamenten des dekadenten Westens zu besudeln. Sie brauchten weder Minister noch Ministerien, weil sie das über das gemeine Volk erhob. Nein, für sie war ein Titel wie »der für die Landwirtschaft zuständige Genosse Boun lert« mehr als ausreichend. Doch der Geltungsdrang hatte offenbar die Oberhand gewonnen, und so hatte die Informationsabteilung kürzlich bekanntgegeben, dass sämtliche Abteilungen, einschließlich ihrer selbst, fortan Ministerien heißen sollten, wenn auch nur, »um ausländische Diplomaten nicht unnötig zu verwirren«.
    Endlich fuhr er durch den Torbogen des alten französischen Lycées. Um den Unterricht nicht zu stören oder, wie Lehrerin Oum sich auszudrücken pflegte, die Schüler nicht zu wecken, stellte er den Motor ab und rollte im Leerlauf die Auffahrt entlang zu dem Gebäude, das den Chemiesaal beherbergte. Es gab Friedhöfe, auf denen es lauter zuging als hier. Bildung schien sich heutzutage darauf zu beschränken, ellenlange Textpassagen von der Tafel abzuschreiben. Das schonte nicht nur die Stimmbänder der Lehrer, sondern vor allem die grauen Zellen der Schüler.
    Er wartete in Oums winzigem Büro, bis es zur Mittagspause klingelte. In Paris hatte Siri zwangsweise ein zweites Mal die Schulbank drücken müssen, und dort hatte das Schellen der Klingel stets Anlass zu Freudenschreien, Gelächter und guter Laune gegeben. Hier im Lycée klang es eher wie ein Wecker, der schläfrige Schüler zu Tisch rief. Lehrerin Oum kam wie ein aufgescheuchtes Huhn aus ihrem Klassenzimmer gestürzt. Sie war um die dreißig, mollig und hatte ein ansteckendes Lächeln. Panisch rannte sie in ihr Büro.
    »Hach, Siri«, sagte sie. »Ich brauche dringend eine Zigarette.«
    »Aber Sie rauchen doch gar nicht.«
    »Ich habe letzten Mittwoch damit angefangen. Und bin schon süchtig.«
    »Aber warum?«
    »Nachdem ich drei Stunden nach dem neuen Lehrplan unterrichtet hatte, musste ich mich dringend abreagieren. Und da ich weder schreien noch mit dem Kopf gegen die nächstbeste Wand rennen konnte, habe ich mir eben mit Zigaretten beholfen. Gefällt Ihnen mein neuer Wandschmuck?«
    Siri betrachtete die Regale, in denen ordentlich aufgereiht nagelneue Fläschchen mit Chemikalien standen, auf denen schwarze, mit dem Totenkopfsymbol und kyrillischen Schriftzeichen versehene Etiketten

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