Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
zusammenzufügen. Juvenal, der Jaguar, sie und Branwyn – und sehr viel Blut. Er war zu ihrer Rettung geeilt, nur um zusehen zu müssen, wie sie ihre Fänge in das Fleisch eines Vampirs grub.
„Juvenal hat dich zurückgebracht. Den ganzen Tag saß er an deinem Bett und hat geredet.“
„Worüber?“
Jungenhaft lachte Mica auf. „Ein gewisses Maß an Diskretion solltest du mir zutrauen. Es waren unendlich viele, teils sehr blumige Schwüre.“
Keinen einzigen davon hatte sie gehört. Doch wenn er an ihrem Bett geblieben war, schien er keinen Groll gegen sie zu hegen. Vielmehr gab es dafür nur einen einzigen Grund. Liebe. Vor Erleichterung wurde ihr schwindelig. Sie musste die Augen schließen und riss sie sofort wieder auf. „Der Kristall? Hast du ihn?“
Stumm schüttelte Mica den Kopf.
„Aber ich habe doch Branwyn ausgelöscht!“
„Nein, er lebt. Er verdient es wahrlich, ausgemerzt zu werden, doch bevor dies geschieht, soll er erfahren, wie es ist, wenn sein Volk sich von ihm abwendet. Ihm wird keine Totenklage zuteil, keine Lobesreden über sein langes Dasein unter uns. Noch während er seine letzten Atemzüge macht, werden die Vampire ihn aus ihrem Gedächtnis tilgen. Von ihm wird nichts bleiben. Das wird meine Rache sein, und daher ist der Kristall noch dort, wo er ihn sicher glaubt.“
Es mochte an ihrem Blutverlust liegen, dass seine Worte wenig Sinn ergaben. Sie hätte die Chance genutzt, Branwyn gefangen gesetzt und den Spiegel der Sonne an sich genommen. Allerdings nannte auch niemand sie die Goldene. Dennoch zweifelte sie daran, dass Branwyn noch in seinem Hort weilte. Sofern die Abordnung wirklich kam, konnte sie kein Urteil über ihn sprechen. Mica erriet ihre Gedanken.
„Ich blieb bei ihm und flößte ihm den Glauben ein, dass er von euch überwältigt wurde und ihr danach geflohen seid. Meine Anwesenheit hat er vergessen. Natürlich wird er bei der ersten Gelegenheit in die Gruft gegangen sein, um nach seinem Schatz zu sehen. Der Anblick des Spiegels der Sonne wird ihm Sicherheit einflößen. Während er glaubt, sein Triumph sei nah, werde ich den Kristall stehlen. Noch heute Nacht.“
Manipulation war eines der größten Talente ihres Bruders. Ohne Zweifel sah Branwyn das Geschehen der letzten Nacht nun mit anderen Augen. Bis zum Schluss würde er an dieser Täuschung festhalten.
„Wie willst du die Silberplatte heben?“
„Dashwood. Keine Sorge, er wird meinen Befehl ausführen. Er weiß, dass er niemals ein Blutgeschenk von Branwyn erhalten wird und betrogen wurde. Ihm blieb ein voller Tag, um in der Hoffnung zu schwelgen, ich könnte ihm seinen Gefallen mit meinem Blut entlohnen.“
Sarkastisch hob Mica eine Augenbraue. Auf einen Lohn von seiner Seite konnte Dashwood lange warten. Berenike sank in die Kissen zurück. Es war ein Schock zu hören, dass sie einen ganzen Tag bewusstlos gewesen war. Sie hatte Blut genommen und dennoch hielt ihre Schwäche an. Eine Lamia wäre schneller genesen. Wer war sie? Nach einiger Überlegung kam sie zu dem Schluss, dass sie für sich allein stand. Keine Sterbliche, keine Lamia, sondern ein Geschöpf, das es zuvor nicht gegeben hatte. Einst hatte sie sich davor gefürchtet, doch jetzt störte sie sich nicht mehr daran.
„Ich muss aufbrechen“, sagte Mica und erhob sich. „Schlaf noch ein wenig, Nike. Es wird dir Kraft geben.“
Als könnte sie schlafen. Sie fühlte sich wach und spürte, wie ihre Kräfte allmählich zurückkehrten. In ihrem Herzen brannte eine Frage, aber sie war zu verlegen, um sie freiheraus zu stellen. Vielleicht irrte sie sich, und Juvenal war einzig ein weiteres Mal seinen eigentümlichen Prinzipien gefolgt, indem er ihr zu Hilfe eilte. Die Beweggründe eines Alphawolfes waren schwer zu verstehen und noch viel schwieriger kam es ihr vor, sein Herz ergründen zu wollen. Auch diesmal wusste Mica ihre Miene zu deuten und zwinkerte.
„Juvenal hatte einige Rippenbrüche und sein Magen war angerissen. Es ist alles verheilt, falls du danach fragen wolltest.“
Hitze stieg in ihre Wangen. Vermutlich glühte sie auf wie ein dunkelroter Lampion. „Wo ist er?“
„Unten im Weinkeller. Es ist die erste Nacht, in der er sich vor dem Vollmond verbergen muss. Seinem Ruf könnte er auch hier bei dir standhalten, hinter geschlossenen Läden. Aber er wollte das Risiko gering halten. Seine Kontrolle über die Bestie ist beachtlich.“
Fürwahr, selbst die Bestie in seinem Inneren musste sich Juvenal fügen, so wie alle
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