Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
ihrem Dasein war versiegt. Sie war reich beschenkt worden mit diesen Dreien.
„Wir müssen vor Einbruch der Nacht eine Scheune finden oder ein anderes festes Haus“, sagte sie zu Sancho. „Dieser Wagen ist zu unsicher.“
„Ja, Mylady. Ich halte bereits Ausschau.“ Nach einer langen Pause fuhr er leise fort. „Ich habe alles gehört. Es stimmt mich froh, dass mein Herr ein neues Glück gefunden hat. So kann ich in Frieden sterben.“
„Du wirst noch viele Jahre leben, Sancho“, wiegelte sie ab.
„Oh, ich sehe jünger aus, als ich tatsächlich bin, Mylady. Es liegt an seinem Biss. Jeden Tag kann der Tod mich einholen. Als die Herrin starb, war ich noch ein junger Mann, müsst ihr wissen.“
Sie neigte ihm den Kopf zu. Hier bot sich die Möglichkeit, mehr zu erfahren. „Woran ist sie gestorben, Sancho?“
„An großem Kummer, Mylady. Als ihre Tochter Alba von uns ging, sagte sie einmal zu mir, ihr Leben sei jeder Farbe beraubt und sie sehe keinen Sinn mehr darin, es fortzuführen. Es gab böse Zungen, die behaupteten, die Herrin wäre noch bei uns, hätte der Herr sie wahrhaftiger geliebt, und dass er dazu nicht fähig gewesen sei. Aber das sind Lügen. Er hat kein Wort darüber verloren, aber der Verlust seiner Tochter hat auch seinem Leben die Farben genommen. Es ist gut, dass er Euch begegnet ist.“ Sancho lächelte sie zaghaft an. „Gleichgültig, was die anderen sagen werden, Ihr seid die richtige Gefährtin für ihn. Einsamkeit mag etwas für Vampire sein, aber einen Alphawolf treibt sie immer tiefer ins Unglück.“
Berenike konnte seine Meinung über Vampire nicht teilen. Gedankenverloren nagte sie an ihrer Unterlippe. Einsamkeit konnte für jeden zu einer schweren Last werden. Insbesondere für einen Vampir, dessen Dasein über Jahrtausende andauerte.
Die Scheune stand auf freiem Feld und war schon aus der Ferne zu sehen. Im unteren Bereich waren Strohballen gestapelt. Eine Leiter führte hinauf zum Heuboden, wo sich das Heu an manchen Stellen bis zum Dach hinauf häufte. Dieses musste im Herbst frisch gedeckt worden sein. Zumindest entdeckte Berenike keine Ritzen und Spalten, durch die das Licht des vollen Mondes eindringen konnte. Es war das Beste, was sie vor Einbruch der Nacht finden konnten. Juvenal brauchte weder Schloss noch Riegel, damit er dem Wüten der Bestie standhalten konnte. Nach eigener Aussage benötigte er auch nicht Berenike in unmittelbarer Nähe. Diese Ansicht wurde ihm weniger durch eine Vorsichtsmaßnahme aufoktroyiert denn von seinem angekratzten Ehrgefühl. Obwohl er es nicht zugab, wollte er den Beweis erbringen, dass er Verzicht üben und seine Instinkte steuern konnte. Dank der Auseinandersetzung mit Mica durfte sie nun draußen im Wagen schlafen. In der ruhigen, doch wenig zufriedenstellenden Gesellschaft eines Pferdes.
Um dieses ungerechte Schicksal hinauszuzögern, erklärte sie sich bereit, Nahrung zu besorgen und begleitete Mica auf seiner Suche nach einer Quelle. Es war die einfachste Lösung, da ihr Bruder instinktsicher auf die nächste Behausung zustrebte, um sich zu nähren. Auf ihrem Streifzug durch den späten Abend kamen Berenike Sanchos Worte wieder in den Sinn. Ein kurzer Blick auf Mica reichte aus, um zu erkennen, dass er sich selbst genug war. Trotz einer Garderobe, die nicht sonderlich sauber und dazu gestohlen war, blieb er einzigartig. Der Eindruck eines gefallenen Engels blieb ihm erhalten, wenngleich er ein schlecht gekleideter und ungekämmter Engel war, der dringend ein Bad benötigte.
„Fühlst du dich manchmal einsam, Mica?“
Immer wieder hatte sie an diesem Tag darüber nachgedacht. Über sein endloses Dasein. Über all die Sterblichen, die ihm im Verlauf der Jahrtausende begegnet waren. Und über Marie, die einzig große Liebe, von der sie wusste. Aus den Augenwinkeln warf er ihr einen abwägenden Seitenblick zu.
„Wird das eine dieser absurden Unterhaltungen, zu denen Frauen gelegentlich neigen?“
Nun, sie war nicht allein eine Frau. Sie war obendrein eine Lamia besonderer Art und seine Schwester. All das sollte doch wohl erlauben, persönliche Fragen zu stellen.
„Nun ja, du … du lässt niemanden an deinem Dasein teilhaben.“
„Nike, ich teile mein Haus mit einer übergroßen Anzahl von Dienstboten. Sie dringen bis in meine unterirdischen Gemächer vor, um dort zu bohnern, zu wischen und zu fegen. Also, nein, ich fühle mich keineswegs einsam. Außerdem habe ich Saint-Germain, der ein gewaltiges Brimborium um mein
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