Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
ist nie in die Nähe des Kristalls gekommen.“
Berenike kam herunter und unterbrach die hitzige Debatte. Sie spähte aus der offenen Tür und lachte entzückt auf. „Was für ein hübscher Wagen!“
Mica rieb über seine Stirn. Er würde in diesem hübschen Wagen niemals an die Küste gelangen und zeitig genug Medmenham erreichen, um sich der Abordnung der Vampire anzuschließen. Angestrengt sann er über andere Möglichkeiten nach. Bei diesem Wetter könnte er die Strecke sogar am Tage zu Fuß zurücklegen. Auf die Gefahr hin, dass die Wolken weiterzogen und die Sonne hervorkam. Er könnte auch den Wagen nutzen, um erst einmal hier fortzukommen und die anderen nach Medmenham vorausschicken. Allerdings ging er davon aus, dass Berenike und Juvenal keine Stunde durchhielten, bevor sie übereinander herfielen und darüber die Gefahr vergaßen. Weder Sancho noch Grishan würden das verhindern können. Sie mussten zusammenbleiben. Entschlossen klatschte er in die Hände.
„Sancho, du packst unsere Habe in den Wagen, Grishan hilft dir. Berenike, du bezirzt unterdessen das Pferd. Es kann jeden Augenblick in Panik verfallen, wenn es uns alle auf einmal sieht. Wir brechen ohne weitere Verzögerung auf.“
Es war das erste Mal an diesem Morgen, dass niemand seine Anweisungen zum Anlass nahm, darüber zu disputieren. Sancho und Grishan trugen die Sachen hinaus, während Berenike den Wallach kraulte und ihm eine Melodie ins Ohr summte. Mica stieg ein, stolperte mit schweren Gliedern über einen Wust aus Kissen und beanspruchte das schmale Bett für sich. Der Dunst von Gewürzen und Kräutern stach in seine Nase. Es würde eine unsäglich beschwerliche Fahrt werden. Als Juvenal die Kissen mit dem Fuß zu einem weichen Lager zusammenschob, fasste er ihn scharf ins Auge.
„Falls du daran denkst, in meinem Beisein zu kopulieren, schlag dir das aus dem Kopf. Ich werde wach bleiben.“
Entrüstung verlieh den Zügen des Werwolfs einen kantigen Schliff. Mehr denn je war der Krieger in ihm zu erkennen. „Kopulieren?“ Er dehnte jede Silbe in die Länge.
„Spar dir deine Empörung, Garou und konzentrier dich lieber darauf, deine Triebe unter Kontrolle zu halten.“
Da Berenike einstieg und sich ohne weitere Umstände in den Kissenberg fallen ließ, enthielt sich Juvenal jeglicher Antwort und setzte sich in einigem Abstand neben sie. Damit zufrieden, kreuzte Mica die Arme über der Brust, umfasste seine Schultern und schloss die Augen.
Höchstens eine Minute waren Juvenal und Mica im Wagen allein geblieben. Ausreichend Zeit für einen Alphawolf und einen Vampir, sich in die Haare zu geraten. Worum immer es ging, es hatte Juvenal in helle Entrüstung gestürzt. Mica hingegen stellte sich schlafend, wobei ein süffisantes Lächeln den verruchten Schwung seines Mundes umspielte.
Berenike setzte sich neben Juvenal in die Kissen und wartete vergeblich auf eine Erklärung. Der bittersüße Dunst der vielen Kräuter, die in Säckchen auf Borden lagen oder in Bündeln an den Wänden und von der Decke schaukelten, war ebenso intensiv und schwer wie das Schweigen der beiden Männer. Wenn das so weiterging, stand ihnen eine unangenehme Reise an die Küste bevor. Die Einzigen, die fröhlich plauderten, waren Grishan und Sancho. Untermalt vom lustigen Schellen der Glöckchen drangen ihre Stimmen durch die dicke Wolldecke, die den Bock vom Wageninneren trennte. Nach einer Weile wagte Berenike eine Frage.
„Was ist geschehen?“
Juvenal brachte lediglich ein ungehaltenes Knurren zuwege. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er wie von einem Fieberschub geschüttelt wurde.
„Juvenal, was ist los mit dir? Bist du etwa krank?“
„Nein.“
Mica nahm die knappe Erwiderung zum Anlass, um für Aufklärung zu sorgen. „Er würde sich am liebsten auf dich werfen und dabei ist es ihm gleichgültig, ob ich zugegen bin oder Grishan und Sancho alles mitbekommen.“
Scharf zog Juvenal den Atem durch die Zähne. „Ich kann mich durchaus beherrschen.“
„Sicher, deine Keuschheit würde gar einen Mönch übertreffen“, spottete Mica. „Bisher wurde schlicht vergessen, neben allen Lobeshymnen deinen Hang zur Askese zu erwähnen.“
„Ich habe nie behauptet, keusch zu leben. Oder hast du das von mir erwartet?“
Mit dieser Frage wandte er sich Berenike zu. Seine Miene wirkte ungnädig, als wäre sie diejenige, die sich über ihn lustig machte. Sie musste ihre Worte vorsichtig wählen, sonst würde sie ihn noch mehr gegen sich aufbringen.
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