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Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe

Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe

Titel: Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Wegner
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Die Asrai war nah und vermutlich von Anfang an nah gewesen. Weshalb sie ihren Angriff hinausgezögert hatte, wusste nur sie selbst.
    „Es ist so weit“, sagte Mica.
    Grishan holte tief Luft, als der Kristall aus dem Säckchen in Micas Handfläche rollte. Der Spiegel der Sonne ähnelte gläsernem Tand an einer langen Silberkette. Nichtssagend und keineswegs wie ein lange vergessener Mythos. Sollte dieser kleine, geschliffene Stein so viel Macht besitzen, dass er dem Großmeister der Vampire den Sinn verwirrte? Die Antwort kam mit einer lautlosen Explosion. Die gesamte Aue wurde von Licht geflutet. Berenike musste vor dem Gleißen die Augen schließen und das Gesicht abwenden. Ein durchdringendes, mörderisches Kreischen dröhnte durch ihren Kopf. Sie packte nach Grishan und griff ins Leere. Er war fort.
    Berenike sprang auf, kniff die Augen gegen das Licht zusammen und entdeckte Mica, in dessen Hand eine kleine Sonne brannte. Goldene Reflexe entzündeten sein Haar. In langen Sätzen rannte er auf die Klippe zu. Schon hatte er die leichte Steigung erreicht. Er war schnell. Gleichwohl spielte sich das Geschehen vor Berenike mit zäh fließender Langsamkeit ab. Grishan jagte so schnell er es vermochte hinter Mica her und auf ein Schemen zu.
    „Grishan!“, brüllte Berenike und spurtete los.
    Ohne hinzusehen wusste sie, dass jeder lange Schritt Mica näher an die Spitze der Klippe führte. Es mochten zehn oder auch nur sieben sein. Ein Geschoss aus grauen Nebelfetzen und langen Armen wollte ihm den Weg abschneiden. Das Kreischen stieg zu einem ohrenbetäubenden Crescendo an. Berenike flog über das Gras, um das Unglück zu verhindern. Sie wusste, was ihr Bruder vorhatte. Ihn konnte sie nicht aufhalten, aber Grishan, der keine Ahnung hatte, musste sie stoppen. Er war den Klippen schon viel zu nah. Jäh stieg das Leuchten der kleinen Sonne in die Luft und raste über den Beachy Head hinweg auf das freie Meer hinaus. Grishan brüllte auf, ruderte mit den Armen und drohte abzustürzen. Mit einem Sprung nach vorn grub Berenike ihre Finger in den Bund seiner Hose und riss ihn im letzten Augenblick zurück. Rücklings krachten sie zu Boden. Eine Sturmböe fegte über sie hinweg, riss ihnen den Atem von den Lippen und schleuderte eiskalte Wassertropfen in ihr Gesicht. Die Asrai folgte dem Leuchten des Kristalls in die Tiefen des Meeres. Ganz so, wie Mica es geplant und vorhergesehen hatte. Obgleich das Wutgebrüll des Naturgeistes abrupt endete, war sein Plan nicht aufgegangen. Oder hatte er genau das seit Tagen im Sinn gehabt?
    Berenike und Grishan gelangten auf die Knie und starrten in das aufgewühlte Meer hinab. Mica war mit dem Kristall in der Hand gesprungen. Weil ihm keine Zeit geblieben war, stehen zu bleiben und weit auszuholen. Ein großer Lichtkegel unter der Wasseroberfläche zeigte ihnen, wo er aufgekommen war. Ein Vampir musste sehr alt sein, um solche Distanzen zu überwinden. Der Kreis aus Licht wurde schwächer und kleiner und versiegte schließlich ganz. Die Dunkelheit der Nacht senkte sich erneut auf sie herab, erfüllt vom Meeresrauschen und dem Geruch von Salzwasser. Salzwasser! Ein trockenes Schluchzen löste sich aus ihrer Kehle.
    „Scheiße!“, fluchte Grishan, riss einige Grashalme aus dem Boden und warf sie über die Klippe. „Weshalb ist er gesprungen? Warum hat er diesen verdammten Kristall nicht einfach ins Meer geworfen? Das war sein Plan!“
    Wer kannte schon die Pläne des Goldenen bis ins Detail? Mica hatte damit gerechnet, daher seine Nachdenklichkeit und seine Anspannung. Er hatte sich auf das Schlimmste vorbereitet.
    „Die Asrai war zu schnell. Ihm blieb keine Zeit, um den Kristall weit genug zu werfen. Daher ist er selbst gesprungen“, erklärte Berenike tonlos. Es war furchtbar. Sie stand kurz davor, die Hände vor das Gesicht zu schlagen und in Tränen auszubrechen. Ihr Bruder. Ihr wunderschöner, makelloser Bruder war in die See gesprungen. Welcher Vampir hätte das auf sich genommen, um sein Volk vor dem Wahnsinn zu bewahren, den der Kristall gebracht hätte? Einzig ein Großmeister. Einzigund allein der Goldene.
    „Und jetzt ist er tot“, stieß Grishan mit bebender Stimme aus.
    „Nein, er lebt.“
    „Weißt du, wie hoch diese verfluchte Klippe ist? Wasser wird zu Stein, wenn man aus dieser Höhe springt.“
    „Mica ist sehr alt. Er hat schon größere Höhen überwunden.“
    In den goldenen Raubkatzenaugen schwammen Tränen. „Du belügst mich. Wenn er noch lebt, würdest

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