Der Gärtner von Otschakow
also Igor ein Drittel des Gefundenen erhielte, dann war das immer noch ungeheuer viel Geld! Igor lächelte angespannt und fühlte, wie eine erregte Wachheit in ihm aufkam.
In der Miene des Gärtners spiegelte sich inzwischen ein ständiger Wechsel von Stimmungen und Gedanken. Sein halbes Lächeln verriet Bitterkeit.
»Ich gehe mal und ruh mich aus!«, flüsterte Igor.
»Nimm, nimm das Köfferchen! Die Schlösser repariere ich dir später, kein Problem!«
Stumm nahm Igor den Koffer mit der Milizuniform und dem Pistolenhalfter und ging hinaus.
Die Mutter staunte, als sie den Koffer sah, und schlug die Hände zusammen. »Zwei solche hatten wir vor fünfzig Jahren im Haus! Hast du den etwa vom Flohmarkt?«
»Nein, ich habe ihn geschenkt bekommen«, antwortete Igor knapp und schlüpfte in sein Zimmer.
Der frühe Herbstabend kam unerwartet schnell an diesem Tag. Stepan und er waren ja morgens eingetroffen und hatten mit Koffern und Inhalt eigentlich nicht lange zu tun gehabt, und doch war da schon die Dämmerung, Müdigkeit in den Händen und ein Drang zum Gähnen.
Igor schmierte sich ein Brot, aß es auf und legte sich, ohne das Abendessen abzuwarten, mit dem seine Mutter schon zugange war, aufs Bett. Aus Aufstehen wurde nichts mehr, die Erschöpfung riss ihn fort, in jenen Zustand, der tiefer ist als gewöhnlicher Schlaf und in dem einem weder Farbträume noch schwarz-weiße begegnen.
[54] Als Elena Andrejewna ihre Kartoffeln gekocht und das Rindfleisch mit Gemüse geschmort hatte, sah sie ins Zimmer ihres Sohnes hinein, um ihn zu Tisch zu rufen, brachte es aber nicht über sich, ihn zu wecken. Auf dem Nachttisch erblickte sie die goldene Uhr mit der Kette, auf einem Taschentuch ausgebreitet, nahm sie in die Hand und besah sie neugierig und beunruhigt. Sie seufzte.
Allein zu Tisch setzen wollte sie sich nicht, und sie beschloss, Stepan einzuladen. Sie zog Schuhe an und ging nach draußen, klopfte ein paarmal an die Schuppentür und machte auf. Da traf sie der erschrockene Blick von Stepan, der anscheinend gerade erst vom Bett aufgestanden war, um die Tür zu öffnen.
»Ich hab Abendessen gekocht, und Igor ist eingeschlafen… Vielleicht leisten wenigstens Sie mir Gesellschaft?«, fragte sie und sah dem Gärtner in die Augen.
»Ich?«, fragte er verwirrt, als würde er sich widerstrebend aus wichtigen Gedanken reißen. »Ja, das kann ich natürlich. Danke. Man müsste nur abschließen…« Er sah sich rings um und blieb mit dem Blick an dem Regal hängen, auf dem das Werkzeug und seine Kleider lagen. Er nahm ein Vorhängeschloss vom Regal und warf sich seine Jacke über.
Interessiert beobachtete Elena Andrejewna, wie er sorgsam die Tür mit dem Vorhängeschloss zusperrte – früher hatte er sie doch immer offen gelassen.
»Und, haben Sie Verwandte gefunden?«, fragte sie, als sie einen Teller mit Kartoffeln und Schmorfleisch vor Stepan auf den Tisch stellte.
»Noch nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Aber wir haben Leute gefunden, die sich an sie erinnern… Auch nicht [55] schlecht. Haben auch ein paar Sachen aufgetan… Sachen von meinem Vater…«
»Na sowas!«, sagte Elena Andrejewna erstaunt. »Dann hat jemand sie so viele Jahre aufbewahrt!«
»Jawohl.« Stepan nickte und überlegte, wie er das Thema ihres Gesprächs wechseln konnte. »Und hier? Was gibt es Neues?«
»Was gibt es hier in ein paar Tagen schon Neues?« Die Gastgeberin zuckte mit den Schultern. »Alles beim Alten. Na, den Kiosk beim Busbahnhof haben sie nachts ausgeraubt, und anscheinend gab es eine Schlägerei bei der Zollakademie, sonst nichts… Tja, Igor ist eingeschlafen… Soll ich ihn vielleicht wecken?«
»Nein.« Stepan winkte ab. »Soll er sich ruhig von der Reise ausschlafen! Ist er eigentlich schon lange ohne Arbeit?«
»Schon lange«, bestätigte die Hausherrin.
»Wieso das? Findet er keine?«
»Er sucht ja keine«, seufzte Elena Andrejewna. »Er hatte als Kind eine schwere Verletzung. Da war er fünf Jahre alt. Ich habe ihn mit meinem Mann auf den Rummelplatz geschickt. Mein Mann hat einen von seinen Freunden getroffen, nicht aufgepasst, und Igor ist zum Karussell gelaufen. Das Karussell hielt gerade an und schlug ihm einen Eisensitz an den Kopf. Geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma. Darauf zwei Monate Krankenhaus. Ich war immer bei ihm. Der Arzt sagte, er wird nicht mehr normal… Wir haben uns aufs Schlimmste gefasst gemacht, aber dann ging es ganz gut. Nur Kopfweh. Er hatte Glück. So hab ich ihn all die Jahre wie
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