Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
eine alte Frau, die ein paar Einkaufsnetze wie aus seiner Kindheit hochhielt, ging hin und kaufte eines. Und sah sich wieder um, jetzt auf der Suche nach Wanja. Als er ihn nirgends entdeckte, setzte er seinen Weg zu den Fischreihen fort, ohne Eile nun.
    Die rote Walja war an ihrem Platz. Beim Anblick des ›kleinen Leutnants‹ belebte sich ihr Gesicht.
    »Gibt es noch Flundern?«, fragte Igor freundlich.
    »Ich habe für Sie welche zurückgelegt.« Sie lächelte süß, und in ihren Augen blitzten freche Funken. »Sind fünf Stück genug?«
    »Genug«, gab Igor zurück.
    Geschickt breitete Walja auf ihrem Stand eine Zeitung aus, legte die Flundern darauf und wickelte alles mit geübten Bewegungen ein.
    »Wie viel?«, fragte Igor.
    »Zehn.«
    »Und haben Sie heute Abend etwas vor?«, flüsterte der ›Leutnant‹, nachdem er bezahlt hatte.
    »Warum nur haben Sie sich an eine Verheiratete gehängt«, flüsterte sie kokett zur Antwort. »Wenn jene Bank Ihnen recht ist, dann komme ich heute Abend um sechs!«
    Igor versuchte sich unauffällig umzublicken und hoffte, Wanjas auf ihn und Walja gerichtetes Ojektiv zu sehen. Aber er entdeckte nichts, schob das Paket mit dem Fisch in sein [173] Einkaufsnetz, lächelte Walja nochmals zu und verließ den Stand ohne Hast. Fünf Meter weiter blieb er bei den Salzheringsfässern stehen, aber nicht, um nach dem Preis zu fragen, sondern um sich noch einmal umzublicken und herauszufinden, ob Wanja ihn nun fotografierte oder nicht. Doch auch der gründlichere Versuch, Wanja in dem bunten Markttreiben zu erspähen, blieb ohne Ergebnis.
    Nachdem er noch eine halbe Stunde über den Markt geschlendert war, hausgemachte Wurst, Salzgurken und frischen Speck probiert hatte, ging Igor durch den Seiteneingang hinaus in das ruhigere Gässchen, betrat die vertraute Volksbar, wo er an der Wodka-Theke ein Glas Mineralwasser trank, und ging weiter, in Richtung des Hauses von Fima Tschagin.
    Die Beine brachten ihn wie von selbst dorthin. Vielleicht waren es gar nicht die Beine, sondern die Stiefel, die vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam mit der Milizuniform aus der Hohlwand eben dieses Hauses ans Licht gekommen waren? Vielleicht wollten die Stiefel nach Hause?
    Igor lächelte. Er stand auf der Straße gegenüber dem Gartentor und blickte auf das Haus, auf die Haustür. Und plötzlich öffnete sich diese Tür, und heraus trat, eine Papirossa im Mund, Tschagin selbst, jung, vielleicht in Igors Alter. Er musterte den Milizionär, der auf der Straße vor seinem Gartentor stand. Eine Art Lähmung erfasste Igor. Er begriff, dass er weggehen musste, aber seine Beine gehorchten nicht. Tschagin war inzwischen zum Gartentor gekommen und sah Igor mit einem stechenden, unangenehmen Blick ins Gesicht. Er zog nochmals demonstrativ an seiner Papirossa, nahm sie aus dem Mund und zerdrückte sie an dem Pfosten des [174] Törchens. Dann schnippste er den Stummel mit zwei Fingern auf die Straße.
    Endlich konnte Igor sich rühren. Er senkte die Augen, wandte das Gesicht ab und ging davon. Das Netz mit dem Fisch baumelte in seiner rechten Hand und schlug ihm ans Knie. Er drehte sich nicht um, aber im Rücken spürte er Fima Tschagins Blick. Erst als er um die Ecke in eine andere Straße gebogen war, verlangsamte er seine Schritte.
    Spät am Abend, als er von seinem Treffen mit Walja zurückkam, bei dem nur ein Augenblick ihn vom ersten echten Kuss getrennt hatte, setzte er sich an den Küchentisch und lenkte Wanja wieder vom Lernen für seine künftige Aufnahme bei den Weinbereitern ab.
    Wanja legte fünf vollgeknipste Filme auf den Tisch. Sein Gesicht strahlte unverfälschte Selbstzufriedenheit aus, wie man sie manchmal bei Bauern findet, die ein krankes Stück Vieh mit Gewinn verkaufen konnten.
    Igor gab Wanja hundert Rubel für einen neuen Film und zweihundert dazu, als Prämie. Beim Anblick des Geldes verwandelte sich die Selbstzufriedenheit auf Wanjas Gesicht in einen Ausdruck von Stolz und stiller Begeisterung.
    »Jetzt gehe ich dann eine Woche zur Morgenschicht«, sagte er, während er das Geld in der Geheimtasche seiner abgetragenen lila Trainingshose verschwinden ließ.
    »Mach noch mehr Bilder!« Igor versuchte, Wanjas Begeisterung ein wenig abzukühlen.
    Wanja wurde ernst und nickte. »Könnten Sie vielleicht mal ein paar ausgebrannte Glühbirnen mitbringen? Ich habe aus Versehen eine zerbrochen…«
    »Wozu willst du denn ausgebrannte?«, staunte Igor.
    [175] »Meine Mutter stopft damit Socken und

Weitere Kostenlose Bücher