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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Klingelknopf.
    Es öffnete ihm die Frau des Fotografen. Sie nickte und ließ ihn hinein. Die Luft im Innern war diesmal anders. Weder ein Duft von frischgemahlenem Kaffee noch von Mentholzigaretten. Nur die Moleküle irgendwelcher chemischer Verbindungen hingen in der Luft. Nicht, dass das die Nase gestört hätte. Bloß war der Geruch überaus professionell, gar nicht häuslich.
    Im Zimmer mit den Sesseln und Sofas hingen schwarz-weiße Fotos von stattlicher Größe an Wäscheleinen und trockneten.
    ›Sind das etwa meine?‹, dachte Igor, und sein Herz klopfte stärker.
    Er trat einen Schritt vor. Die Frau des Fotografen war, ohne ein Wort zu sagen, hinter der Küchentür verschwunden.
    Auf den trocknenden Fotografien posierten nackte Mädchen mit Besen zwischen den Beinen als Hexen. Igor wanderte an den Bildern entlang. Das konnte Wanja Samochin ganz sicher nicht geknipst haben! Im Otschakow des Jahres 1957!
    Igor wandte sich um. Er ging zur Küchentür und sah die [179] Frau des Fotografen in blauem Hauskleid und Pantoffeln, die mit dem Rücken zu ihm vor einer Kaffeemaschine stand.
    Es war, als spürte sie Igors Anwesenheit. Sie drehte sich um. »Nehmen Sie einen Kaffee?«
    Igor nickte.
    »Setzen Sie sich dort hin.« Sie wies mit einer Kopfbewegung in Richtung des Wohn-Arbeitszimmers mit den Sofas und Sesseln.
    Dann kam sie mit einem Tablett, auf dem drei Tassen Kaffee standen, zu ihm.
    Irgendwo nebenan wurden geräuschvoll Vorhänge aufgezogen. Wasser lief.
    Aus der zweiten Tür trat der Fotograf ins Zimmer, wieder im Karohemd, nur diesmal von anderer Farbe. Wieder waren die oberen zwei Knöpfe offen. Das Hemd war aus den Jeans fast herausgerutscht. Als der Fotograf den Blick seines Besuchers sah, merkte er das auch und stopfte es wieder hinein.
    »Ich komme gleich«, sagte er, verschwand hinter einem mit schwarzem Stoff bespannten Schirm und raschelte dort mit Papieren.
    »Hier, freuen Sie sich an Ihrem Fund!« Er reichte Igor einen dicken Pappumschlag und setzte sich in den Sessel neben ihm.
    Igor zog einen Stapel Fotos heraus. Der schon bekannte chemische Geruch drang ihm in die Nase. Mechanisch streckte sich Igors Hand nach der Tasse mit dem Espresso, und ein Schluck von dem starken, würzigen Arabica brachte ihn wieder in einen behaglichen Zustand zurück.
    Igor spürte, wie der Stapel Fotos in seiner Hand zitterte. Er legte ihn auf die gläserne Tischplatte und griff nach dem [180] obersten Bild. Vor einem Gartentörchen, hinter dem deutlich ein einstöckiges Haus zu sehen war, stand eine stattliche Frau mit zwei schweren Taschen. Komisch, dass sie die Taschen nicht auf der Erde abstellte, sondern in den Händen behielt. Dabei war ihr am Gesicht und selbst an ihrem Lächeln das Gewicht der Taschen, genauer, die dem Gewicht entsprechende Anspannung abzulesen. Betreten hob Igor das Foto näher an die Augen.
    Der Fotograf stand auf und trug eine Stehlampe zu Igors Sessel hinüber. Er richtete die Lampe nach unten und knipste sie an. Sofort streifte ihre Wärme Igors Hände. Aber auch das Foto wurde gleichsam lebendig, fast als wäre es farbig geworden.
    ›Das ist doch Wanjas Mutter!‹, erkannte Igor, als er sich in das Gesicht der Frau vertiefte. ›Und dafür habe ich hundert Grüne bezahlt?‹
    Sorgenvoll nahm er das zweite Bild. Mit der Beleuchtung von oben musste er nun nicht mehr die Augen zusammenkneifen oder sich die Fotos vor die Nase halten. Auf dem zweiten Bild kam ein fünfzig- oder sechzigjähriger Mann mit hagerem Gesicht und unfroh verzogenem Mund die Stufen vor Tschagins Haus herunter. Er sah vor sich auf den Boden. Igor versuchte zu verstehen, von wo aus Wanja diesen Mann fotografiert hatte. Alles deutete darauf hin, dass Wanja links vom Gartentörchen am Zaun gelegen oder gehockt haben musste. ›Dort ist doch der Baum?!‹, erinnerte sich Igor. Dann kamen auf zwei Dutzend Bildern noch irgendwelche Leute, Männer ohne Lächeln, vom Leben gezeichnet. Drei Gesichter wiederholten sich mehrmals. Auf einem Foto konnte man Tschagin selbst im Profil studieren.
    [181] Und plötzlich waren da drei Bilder vom Markt, mit der roten Walja. Auf einem Bild pries sie jemandem ihren Fisch an. Auf dem zweiten unterhielt sie sich mit einem kleinen Mann mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck.
    »Markante Erscheinung«, erklang links von ihm die Stimme des Fotografen.
    Igor riss sich los und wandte sich um.
    Igor der Fotograf wies mit dem Finger auf Walja.
    »Wahrscheinlich eine Rothaarige«, sagte er und nahm

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