Der Gärtner von Otschakow
abziehen«, sagte er. »Unter einer kleinen Bedingung.«
»Welche?«
»Wenn Sie Ihre Bilder ausstellen möchten, kommen Sie zu mir. Ich werde Ihr producer ! Sie haben eindeutig ungewöhnliches Talent, und Phantasie!«
»Gut«, stimmte Igor zu, griff selbst nach der Flasche Hennessy und füllte wieder Kognak in die Gläser. »Abgemacht.«
Mit den Umschlägen unterm Arm ging Igor die Proresnaja hinunter zum Kreschtschatik. Bevor er die Metro-Station betrat, rief er Koljan an.
»Ja, bitte?«, erklang an seinem Ohr eine Frauenstimme.
»Oh, entschuldigen Sie, ich habe mich wohl geirrt…«
»Legen Sie nicht auf!«, bat dieselbe Stimme. »Wen möchten Sie?«
»Koljan, Nikolaj.«
»Er ist hier, er kann nur nicht reden. Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Hier, wo ist das?«, fragte Igor.
»Das Notfallkrankenhaus auf der Bratislawskaja. Ihr Bekannter wurde gestern zusammengeschlagen, er liegt auf der Traumatologie.«
»Hier ist Igor, sagen Sie ihm, dass Igor da ist! Ich wollte ihm meine Schulden zurückzahlen.« Plötzlich stockte Igor. »Kann man ihn besuchen?«
»Ja, natürlich«, antwortete die Frauenstimme. »Fünfter Stock des Hauptgebäudes, Zimmer sieben.«
Die Frau erklärte, wie man zum Krankenhaus kam, und die Rolltreppe brachte Igor nach unten, zu den Zügen.
[200] Koljan lag in einem Sechsbettzimmer links an der Wand. Die Tür stand weit offen. Auch zwei große Lüftungsklappen in den Fenstern standen offen, und ein Windstoß mit dem Geruch fauligen Herbstlaubs schlug Igor entgegen. Über Koljan hing ein Tropf, von dem ein durchsichtiger Plastikschlauch, gewunden wie eine Schlange, zu seinem rechten Handgelenk führte. Koljans Gesicht, halb von Verbänden bedeckt, voller blauer Flecken und aufgedunsen, erschreckte Igor. Die Augen hatte Koljan geschlossen. Neben ihm, auf dem Nachttisch, lag sein Handy. Igor holte einen Stuhl vom Zimmereingang ans Bett seines Freundes herüber und setzte sich. Er wollte ihn leicht rütteln, aber Zentimeter vor der Schulter des Liegenden erstarrte seine Hand. ›Und wenn er bewusstlos ist?‹, überlegte Igor und zog die Hand zurück. Er stand auf, ging hinaus in den Krankenhausflur und hielt Ausschau nach einem Arzt oder einer Krankenschwester, sah aber niemanden. Er wanderte den Flur entlang und blickte in andere Zimmer hinein, deren Türen, genau wie bei Zimmer sieben, weit offen standen. Überall lagen Patienten. Einige lasen Zeitung oder ein Buch, ein Junge mit verbundenem Kopf hörte Musik, seine Ohren waren mit kleinen Kopfhörern verstöpselt und die Augenlider zuckten im Rhythmus. Ein paarmal wanderte Igor so auf und ab, bis ein Klingeln aus Koljans Nachbarzimmer ihn haltmachen ließ. Er sah hinein und erblickte auf einem Nachttisch ein vibrierendes Handy und links daneben einen Patienten mit eingegipsten Händen, verbundener Stirn und schwarzen Veilchen unter den Augen. Als er Igor ins Zimmer kommen sah, zuckte der Eingegipste, hob das Kinn, stieß undeutliche Laute aus. Igor begriff aus der kaum sichtbaren Bewegung [201] von Kopf und Augen, dass der Patient ihn bat, den Anruf auf seinem Handy anzunehmen. Er machte zwei schnelle Schritte.
»Hallo!«, sagte er ins Telefon.
»Hier ist Warja, sind Sie ein Arzt?«
»Nein, ich besuche einen Freund, im Nachbarzimmer…«
»Ist Kostja da?« In der Stimme der Frau hörte man den Schrecken.
»Ja, er ist da, nur kann er nicht reden…«
»Ich weiß, sagen Sie ihm einfach… dass Warja angerufen hat. Ich komme heute Abend. Sagen Sie, dass ich ihn liebe!«
»Gut«, versprach Igor und legte das Handy zurück an seinen Platz.
»Warja hat angerufen«, sagte er zu dem Besitzer des Handys. »Sie hat gesagt, dass sie Sie liebt und heute Abend kommt.«
Das Gesicht des Eingegipsten drückte keinerlei Freude aus. Igor nickte ihm zum Abschied zu, verließ das Zimmer und bemerkte plötzlich an der Außenseite der Tür das Schild ›Nr. 5‹. Plötzlich interessierte ihn, warum nach Nummer fünf kein Krankenzimmer Nummer sechs kam. Er überprüfte die Nummern der Zimmer auf der anderen Gangseite, dort waren sie schon zweistellig.
»Suchen Sie jemanden?«, erklang hinter seinem Rücken eine helle Frauenstimme, die ihm bekannt vorkam.
Er drehte sich um. Endlich stand eine junge, lächelnde, schwarzhaarige Krankenschwester vor ihm. Den weißen Kittel konnte man allerdings kaum »blütenrein« nennen. Vielmaliges Waschen hatte ihm das ursprüngliche sterile Weiß ausgetrieben.
»Ja, mein Freund ist hier bei Ihnen gelandet…
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