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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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eine alte Milizuniform nur anzuziehen, und die Uniform hörte auf, alt zu sein!
    Er sah ins Wohnzimmer. »Mama, haben wir durchgebrannte Glühbirnen?«
    Elena Andrejewna riss sich vom Fernseher los. »Wozu?«
    »Ich brauche sie!«
    »Die sind im Schuppen, da trage ich sie hin, wenn sie durchgebrannt sind. In der rechten hinteren Ecke.«
    Im Schuppen brannte helles Licht, das Igor sofort blendete. Unter der Hängelampe saß Stepan auf einem Hocker und las ein Buch. Verwirrt starrte Igor ihn an.
    »Guten Abend«, sagte der Gärtner.
    »Ja, Ihnen auch«, antwortete Igor. »Entschuldigen Sie, ich muss kurz…«
    Er ging in die rechte hintere Ecke und sah den Beutel mit einem Dutzend durchgebrannter Birnen sofort. ›Wozu hebt sie sie auf?‹, überlegte er, während er sich hinunterbeugte. Er wählte zwei ausländische, matte Glühbirnen, ihr Glas schien ihm dicker zu sein.
    »Ich gehe heute ins Café. Wollen wir vielleicht zusammen…?«, erklang hinter ihm Stepans Stimme.
    »Was ›zusammen‹?«, fragte Igor verständnislos.
    »Zusammen essen.«
    »Nein, ich muss jetzt… Ich kann nicht.«
    »Schade«, sagte Stepan. »Wohin gehe ich denn wohl am besten, damit es auch ein anständiges Café ist?«
    [209] »Anständige gibt es in Kiew, aber hier?« Igor zuckte die Achseln. »Hier weiß ich nicht…«
    »Das solltest du wissen, du lebst hier doch! Und noch tausende anständige Leute mit dir, für die müsste es anständige Cafés und Restaurants geben!«
    Igor starrte den Gärtner an und versuchte zu begreifen, ob der ihm eine Moralpredigt hielt oder einfach naiven Unsinn redete, der seiner Sicht aufs Leben entsprach.
    Stepan betrachtete mit nicht weniger Neugier die zwei matten Glühbirnen in den Händen seines Besuchers.
    Wieder im Haus, zog Igor die alte Milizuniform an, schnallte sich den Gürtel mit dem Halfter um und holte oben vom Schrank die dort vor der Neugier seiner Mutter verborgene Pistole, die sich auf dem Picknick kürzlich als völlig nutzloses Spielzeug erwiesen hatte. Und doch, wenn Igor sie damals Koljan überlassen hätte und Koljan rechtzeitig dieses Spielzeug hätte herausziehen können, dann hätte sie ja vielleicht die Schläger verscheucht!
    Igor drehte die Pistole in den Händen und wägte ab, ob er sie mitnehmen sollte oder nicht. Er hob sie an die Nase und roch daran. Der Geruch des Schmieröls gefiel ihm. Und es war auch angenehm, dieses gewichtige Spielzeug in den Händen zu halten, selbst wenn er wusste, dass es nicht schoss. Am Ende schob Igor die Pistole in das Halfter, nahm den Beutel mit den Glühbirnen und legte auch die Arznei für Walja samt den Anweisungen der Apothekerin hinein. Den Beutel in der Hand, schaute er ins Wohnzimmer, um anzukündigen, dass er fortging. Und traf seine Mutter nicht vor dem Fernseher, sondern am Bügelbrett an. Sie bügelte mit Hingabe Bügelfalten in eine Hose.
    [210] »Mama, ich habe dich doch nicht darum gebeten!!!! Und es ist jetzt nicht modern, mit Bügelfalten!«, entfuhr es Igor.
    »Das ist für Stepan!«, antwortete seine Mutter. »Er geht heute im Anzug irgendwohin. Wahrscheinlich etwas Wichtiges!«
    »Ja, bestimmt!« Igor lächelte. »Mama, ich komme morgen oder übermorgen wieder! Mach dir keine Sorgen!«
    Sagte es, schloss sofort die Tür und lief mit schnellen Schritten und die Absätze der Milizstiefel auf die Dielen knallend zur Haustür. Er hörte die Stimme seiner Mutter hinter sich, aber die Worte konnte er nicht verstehen und versuchte es auch gar nicht. Jetzt hieß es schnell nach draußen und auf die Straße!
    Das Haus blieb hinter ihm zurück. Der Abend packte die Straße in seine dunkle Watte, dämpfte die Klänge, vertrieb die Durchsichtigkeit der Luft. Ein alter Moskwitsch fuhr an Igor vorbei und verschwand weiter vorn, bog in eine andere Straße ab.
    Igor ging schneller, ein angespanntes Lächeln auf den Lippen, Herz und Kopf voller Erwartung. Die Erwartung, in eine andere Welt einzutauchen, eine Welt, hinter deren Fenstern und Gesichtern ein anderer Sinn spürbar war. In den Gesten und Bewegungen dieser Welt war eine andere Energie zu sehen, und in den Augen ihrer Bewohner brannte eine andere Wachheit, andere Freude oder anderer Ernst.
    Seine betrunkene Erregung beschleunigte gleichsam den Lauf der Zeit. Vor ihm erschienen die vertrauten Lichter der Otschakower Kellerei. Als es bis zum Platz vor dem grünen Tor noch an die zweihundert Meter waren, öffnete sich das Tor und ein alter Kleinlaster kam herausgefahren. Er bog ab [211]

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