Der Gärtner von Otschakow
x-ten Mal war es Igor danach, von seinen Ausflügen ins Otschakow des Jahres 1957 zu erzählen, aber zwei Gläschen reichten eindeutig nicht aus, um dafür in Fahrt zu kommen. Erst recht, wo alle früheren Versuche an der eisern-eisigen Ironie seines Freundes zerschellt waren.
Dafür wurde es ein hervorragendes Schaschlik-Picknick, und das hieß, der Wodka reichte nicht aus. Die leere Wodkaflasche lag neben dem Feuer und verbreitete Trübsal.
»Ich gehe etwas holen.« Igor hatte sein Fleischstück zu Ende gekaut und nahm es auf sich, die Situation zu retten.
»Geh nur, geh!«, stimmte Koljan zu. »Die Heimat wird es dir nicht vergessen!«
Für den Weg nach Hause brauchte Igor etwa zehn Minuten. Als Erstes stellte er eine angebrochene Flasche Kognak heraus auf den Küchenboden. Hinter ihm knarrte die Tür.
»Du bist schon zurück?«, fragte seine Mutter.
»Nein, wir haben dort beim Picknick nicht genug… Du hattest doch noch Selbstgebrannten?«
»Da, unterm Waschbecken.«
Igor öffnete das hölzerne Türchen und beugte sich hinunter. Er zog ein Zweiliterglas Selbstgebrannten heraus und sah sich um, auf der Suche nach einem kleineren Gefäß.
»Nimm ein Halbliterglas.« Seine Mutter wies auf die Tasche mit ihrem Vorrat an Einmachgläsern.
»Das ist irgendwie geschmacklos.« Igor wiegte den Kopf. »Wir hatten doch Bierflaschen!«
[191] »Ich hab sie in den Schuppen rausgetragen, zu den übrigen.«
Igor ging hinaus und spähte in den Schuppen – Stepan war nicht da. Er nahm eine leere Flasche und kehrte zurück in die Küche, füllte Selbstgebrannten hinein und verschloss sie mit einem Weinkorken. Und da reifte in seinem Kopf ein Plan, wie er sich mit Koljan einen Scherz machen und ihn vielleicht dazu bringen konnte, an die Realität seines Otschakow von 1957 zu glauben! Er lief in sein Zimmer, legte den Gürtel um, schob die Pistole in das Halfter und zog die alte Milizmütze auf den Kopf. Dann nahm er vom Küchentisch die Flasche und ging hinaus.
Draußen wurde es schon dunkel. Am Gartentor stieß Igor mit Stepan zusammen. Der musterte ihn erstaunt, betrachtete ironisch erst die Milizmütze, dann den Gürtel, und tippte an das Halfter.
»Lässt du’s dir gutgehen?«, bemerkte er, grinste und ging hinein. »Pass auf, dass du dich nicht dran gewöhnst! Dann kannst du nicht mehr ohne!«, holte die Stimme des Gärtners Igor am Gartentor noch ein.
Die weißen Stämme der Birken schufen eine Illusion von Helligkeit. Dort, wo das Wäldchen in Nadelwald überging, begann das Dunkel, dort herrschte schon die Finsternis des bis zum Gras heruntergesunkenen Abends.
»Oho!«, ächzte Koljan, der mit dem Gesicht zum Feuer saß. »Retro-Party Nummer zwei?«
Igor nickte, setzte sich neben das Wachstuchquadrat, das die Rolle ihres Picknicktischs spielte, und zeigte seinem Freund die mitgebrachte Flasche. »Entschuldige nur, wir müssen auf Wodka aus eigener Produktion umsteigen.«
[192] »Du hast selbst gebrannt?«
»Nein, die Nachbarin versorgt uns, Mutters Freundin.«
»Die Nachbarin wird uns nicht vergiften!« Koljan streckte die Hand aus, nahm die Flasche, zog den Korken heraus und roch daran. »Ah! Reine Schwarzerde! Volksschaffen! Auf den unbesiegbaren Geist der Nation!« Noch einmal hob er die Flasche an die Nase.
Selbstgebrannten kann man nicht trinken, ohne dazu zu essen. Gut, dass Koljan Maximalist war und nicht weniger als anderthalb Kilogramm Fleisch mitgebracht hatte. Bis dahin hatten sie jeder drei Schaschliks gegessen, und drei für jeden blieben ihnen noch – sechs Fleischspieße brutzelten auf den Kohlen, die ihre Flammenhitze schon verloren hatten.
Nachdem Igor ein Gläschen hinuntergekippt hatte, verspürte er wiederkehrenden Appetit. Das Fleisch war ein wenig trocken, nicht so saftig wie vor einer Stunde, aber es belebte im Mund die Feststimmung neu. Auch Koljan stürzte sich gierig auf das nächste Schaschlik.
»Ach, ich habe dir die hundert Grünen noch nicht zurückgegeben!«, fiel es Igor plötzlich ein. »Gehen wir nachher bei mir vorbei!«
Koljan winkte ab. »Es gibt Erfreulicheres als hundert Grüne!« Er wies mit dem Kinn auf die Flasche, nahm sie und goss wieder Selbstgebrannten in die Gläser.
Der Selbstgebrannte in der Bierflasche war zwanzig Minuten später aus. Das Fleisch aßen Igor und Koljan noch trocken zu Ende, mehr aus einem Pflichtgefühl heraus als mit Genuss.
Wie zum Spiel zog Igor die Pistole aus dem Halfter und begann sie demonstrativ zu untersuchen.
[193] »Was
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