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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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In Zimmer sieben.«
    [202] »Ah, ist das der, den sie heute Nacht gebracht haben?«
    »Ja, aber was hat er?«
    » GSHT , Gehirnerschütterung, Quetschungen, Verdacht auf Rippenbrüche.«
    » GSHT ?«, sagte Igor erschrocken.
    »Geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma«, erklärte die Schwester.
    »Wird er es überleben?«
    »Er wird es überleben. Ein paar Tage muss er sicher bei uns liegen bleiben, dann schicken wir ihn nach Hause«, sagte die Schwester fürsorglich. »Unter Beobachtung.«
    »Schläft er gerade?«
    »Kommen Sie, wir gucken.« Die junge Frau wandte sich um und lief zu Zimmer sieben. Igor eilte ihr hinterher.
    Koljan lag da, mit offenen Augen, und sah an die Decke. Als er über sich die Schwester und Igor erblickte, versuchte er mit den zerschlagenen Lippen zu lächeln, aber eine schmerzliche Grimasse löschte das ohnehin missglückte Lächeln aus.
    »Wie geht’s?«, fragte Igor über ihn gebeugt.
    Koljans Blick schien zu antworten: »Siehst du ja!«
    Igor nickte und legte seine Umschläge mit den Fotos auf dem Boden ab. »Ich habe dir dein Geld zurückgebracht, hundert Grüne… Soll ich es dalassen?«
    Koljan wehrte ab. »Nein«, brachte er leise und nicht sehr deutlich heraus. Die zerschlagenen, geschwollenen Lippen hinderten ihn am Sprechen.
    »Wer war das?« Igor setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und folgte mit dem Blick der hinausgehenden Schwester.
    [203] »Hab ich nicht gesehen«, flüsterte Koljan. »Kamen von hinten…«
    »Nach unserem Picknick? Auf der Straße?«
    »In Kiew, in meinem Hauseingang.«
    »Haben sie dich ausgeraubt?«
    Koljan verneinte. ›Das Telefon ist noch da!‹, sagte sein Blick zum Nachttisch.
    »Weil es ein billiges ist«, bemerkte Igor.
    Wieder versuchte Koljan ein Lächeln, und wieder wurde nichts daraus.
    »Im Nachttisch, meine Jacke«, flüsterte er weiter. »Hol mal raus!«
    Igor griff in den Nachttisch und zog einen schweren schwarzen Parka mit einer Vielzahl Taschen und Nieten hervor. Eben den, in dem Koljan am Vortag zum Picknick gekommen war. Er rollte ihn auseinander und sah seinen Freund an.
    »Da, in der Tasche ist Geld«, flüsterte Koljan.
    Unsicher begann Igor die Brusttaschen abzutasten.
    »Nein«, unterbrach ihn das Flüstern seines Freundes. »Hinten…«
    Verlegen wendete Igor den Parka auf seinen Knien und entdeckte hinten an der Innenseite eine Geheimtasche mit Klettverschluss. Er öffnete sie, zog von dort einen dicken Packen Hundertdollarscheine heraus.
    »Das?«, fragte er Koljan.
    Der nickte kaum merklich. »Nimm es, gib es mir später wieder«, bat Koljan.
    Nachdem er das Geld eingesteckt hatte, rollte Igor die Jacke wieder zusammen und schob sie in den Nachttisch.
    [204] Gleichzeitig schrillte ihm Koljans Handy ins Ohr. In der Krankenhausstille klang die fröhliche Melodie wie böser Spott.
    Igor nahm das Telefon.
    »Lebst du noch?«, fragte eine etwas manierierte, fast kokette Männerstimme.
    »Wollen Sie Koljan?«, fragte Igor. »Er kann nicht reden. Soll ich etwas ausrichten?«
    »Richte ihm aus, dass ich ihn umlege! Er weiß, wer ich bin! Und wer bist du?«
    »Ich bin sein Bekannter«, sagte Igor verwirrt.
    »Kommst du dann zum Begräbnis?«, fragte die Stimme.
    »Was?!«, entfuhr es Igor, und im nächsten Augenblick drückte er auf »Beenden«. Er legte das Telefon zurück auf seinen Platz.
    »Jemand hat gesagt, dass er dich umlegt.« Igor sah Koljan an. »Er hat gesagt, du weißt, wer er ist…«
    Koljan schwieg. Er hob den Blick zur Decke. Schloss dann die Augen.
    »Soll ich vielleicht gehen?«, fragte Igor.
    »Bleib noch«, flüsterte Koljan.
    »Wer war das?«
    »Einer von den dreien…«
    »Von welchen dreien?« Igor verstand gar nichts.
    »Einer von den dreien, die ich gehackt habe«, antwortete Koljan. »Wahrscheinlich der Mann von der Frau…«
    »Für die du die Mails kopiert hast?«
    »Ja«, seufzte Koljan.
    »Hast du denn danach mit ihr geschlafen?«, flüsterte Igor seinem Freund ins Ohr.
    [205] Der antwortete nicht.
    »Ich gehe«, erklärte Igor etwas entschlossener. »Deine Abenteuer gefallen mir nicht…«
    »Mir auch nicht«, sagte Koljan mühsam. »Kommst du morgen wieder?«
    »Mach ich. Bis dann.«
    Igor hob seine Umschläge mit den Fotos vom Boden auf, sah noch einmal aufmerksam seinen Freund an, winkte ihm zu und trat hinaus auf den Gang. Dort, an der Tür des Nachbarzimmers, traf er wieder die Schwester.
    »Gehen Sie schon?«, fragte sie.
    Igor nickte. »Darf ich Sie etwas fragen?« Er trat ganz dicht zu ihr, als

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